Nationaler Spitex-Tag – «Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit ist unser Motor»

Interview mit Yvonne Bertsch (links) und Barbara Hoop (rechts) - Spitex, Vaduz, Bild aufgenommen am 31.08.2023, Foto&Copyright: Tatjana Schnalzger

«Die Familienhilfe ist aus dem ambulanten Gesundheits- und Sozialwesen nicht mehr wegzudenken», sagt Barbara Hoop. Sie ist Qualitätsverantwortliche der Familienhilfe Liechtenstein. Zum heutigen nationalen Spitex-Tag erklärt sie zusammen mit Yvonne Bertsch, der Leiterin des Fachbereichs Betreuung/unterstützende Hauswirtschaft, warum dem so ist.

Interview: Heribert Beck

Heute ist der nationale Spitex-Tag in Liechtenstein und der Schweiz. Er steht unter dem Motto «Wo kann ich eigenständig und im Team arbeiten? Bei der Spitex!» Ein treffender Slogan?

Barbara Hoop: Ja, für mich definitiv. Diese Eigenständigkeit in der Spitex gibt mir die Flexibilität, auf die Wünsche unserer Klientinnen und Klienten eingehen zu können und selbstbestimmt zu arbeiten. Was ich besonders an der Spitex schätze, ist, dass ich mich während meines Einsatzes auf die Klientinnen und Klienten konzentrieren kann. Störfaktoren, wie beispielsweise «die Klingel» im Spital oder einem Altersheim, gibt es weniger. Trotzdem kann ich mich bei Fragen und Unklarheiten im Team austauschen, kann Situationen mit Kolleginnen und Kollegen reflektieren und erhalte, wenn nötig, Unterstützung. Zudem gibt mir diese Flexibilität den Rahmen, Familie und Freizeit zu vereinbaren, was gerade in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich ist.

Yvonne Bertsch: Die Familienhilfe besteht ja nicht «nur» aus der somatischen und psychiatrischen Spitex, sondern auch aus einem grossen Teil an Betreuung/Hauswirtschaft. Auch dort geniessen wir eine hohe Eigenständigkeit. Wir können die Arbeit vor Ort im Groben selbst einteilen, natürlich immer in Absprache und nach den Wünschen der Klientinnen und Klienten. Nicht selten ergeben sich daraus langjährige Beziehungen, was die Freude an der Tätigkeit steigert. Das Team sehen wir einmal monatlich bei der Teamsitzung, ansonsten tauschen wir uns bezüglich Einsätze mittels Fallbesprechungen aus. Für uns ist der Teamleiter oder die Teamleiterin eine sehr wichtige Person. Wir können bei ihr wöchentlich unsere Anliegen, Sorgen um die Klientel oder auch unser Empfinden platzieren. Die relativ planbaren Betreuungseinsätze ermöglicht es uns Mitarbeitenden, in Teilzeit zu arbeiten, was eine sehr gute Work-Life-Balance ergibt um, wie Barbara schon sagte, Familie und Beruf zu koordinieren.

Seit wann sind Sie bei der Familienhilfe und was ist Ihre berufliche Aufgabe?

Yvonne Bertsch: Ich bin bald fünf Jahre bei der Familienhilfe. Zuerst als Teamleiterin, seit vier Jahren als Leiterin Betreuung/unterstützende Hauswirtschaft. Meine Aufgaben sind sehr unterschiedlich und tagesabhängig. Vom Personalmanagement bis hin zum Leistungs-Controlling und zur stellvertretenden Übernahme von Teamleitungsaufgaben wie zum Beispiel der Planung, aber auch Fortbildungsjahresplanung über alle Bereiche gehören dazu. In den letzten beiden Jahren war ich vor allem projektmässig tätig: interne Entwicklungsschritte wie das Einführen von Tabletts, mit denen inzwischen alle Mitarbeitenden arbeiten, Leistungserfassung, Dokumentation et cetera. Auch neue spezifizierte Teams wie das Nachtwachen- oder Kinderteam benötigten eine strukturelle Anpassung.

Barbara Hoop: Ich bin seit gut drei Jahren bei der Familienhilfe. Vor etwa einem Jahr habe ich die Aufgabe als Qualitätsverantwortliche übernommen. Dies in Folge meiner weiteren Ausbildung als Pflegeexpertin mit Masterabschluss in Pflegewissenschaften. Meine Arbeit ist sehr vielfältig: Hohe Qualitätsansprüche gelten sowohl für den Bereich Spitex als auch für die Betreuung/Hauswirtschaft. Beispielsweise habe ich unsere Diabetesberaterin im Aufbau ihres Konzeptes in der Familienhilfe unterstützt. Ich stehe im engen Austausch mit unseren Wissensträgerinnen im Bereich Palliative Care, Wundmanagement, Diabetesberatung, Demenz und Schmerzmanagement wie auch mit unseren Spitex-Mitarbeitenden. Zudem leite ich regelmässig interne Weiterbildungen für beide Bereiche.

Wie lässt sich das generelle Aufgabenfeld eines Spitex-Mitarbeitenden und einer Mitarbeitenden Bereich Betreuung/Hauswirtschaft beschreiben? Es gehört sicher sehr vieles dazu.

Yvonne Bertsch: Die vielfältigen Aufgaben in Betreuung und unterstützender Hauswirtschaft in kurzen Worten zu beschreiben, ist schwierig, da die Betreuungsmitarbeitenden wirklich sehr vielseitig gefragt sind und viel im Bereich der Prävention abdecken. Oftmals sind sie die einzige Kontaktperson zum Alltagsgeschehen draussen und verhindern so die Vereinsamung in den eigenen vier Wänden. Somit müssen die Mitarbeitenden sehr feinfühlend, angepasst, fröhlich oder auch mal bestimmend auf die Klientinnen und Klienten zugehen. Die Tätigkeiten im hauwirtschaftlichen und betreuerischen Bereich enthalten das Kochen, Reinigen, Waschen, Bügeln, Einkaufen und so weiter, aber auch einfach da sein, um Sicherheit zu geben, einen gemeinsamen Spaziergang zu machen an der frischen Luft oder Gesellschaft bieten in Form von Gesprächen oder zum Beispiel Gesellschaftsspielen. Die Betreuungsaufgaben sehen wir als Entlastung der Familienangehörigen oder des pflegerischen Umfeldes.

Barbara Hoop: Wie Yvonne bereits erwähnt hat, sind auch die Tätigkeiten der Spitex sehr vielfältig. Allgemein teilen wir unsere Aufgaben in der somatischen und psychiatrischen Spitex gemäss dem von den Krankenkassen vorgeschriebenen Leistungskatalog in die Bereiche Pflege, Behandlungspflege und Abklärungsleistungen ein. Der Bereich Pflege umfasst die Hilfe und Unterstützung in der täglichen Hygiene. Zur Behandlungspflege gehört zum Beispiel das Messen eines Blutzuckers oder Blutdrucks, die Verbandswechsel und Injektionen. Gerade im Bereich der Behandlungspflege habe ich eine Zunahme an solchen Leistungen in den letzten Jahren erfahren – auch hinsichtlich technischer Möglichkeiten. Beispielsweise betreuen wir zunehmend Personen zu Hause, die eine Antibiotikatherapie direkt ins venöse Blutgefäss erhalten müssen. Dank spezieller technischer Geräte ist dies inzwischen viel einfacher möglich. Unter Abklärungsleistungen verstehen wir beispielsweise die strukturierte Erfassung, welcher individuelle Bedarf an unseren Dienstleistungen besteht. Zudem stehen wir im engen Kontakt mit den Angehörigen wie auch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin der Klientel.

Was Sie an Ihren Aufgaben schätzen, haben Sie bereits ausgeführt. Andererseits hat die Arbeit bei der Spitex und in der Betreuung/Hauswirtschaft sicher auch ihre schwierigen Aspekte. Welche sind dies?

Yvonne Bertsch: Wie ich schon erwähnt habe, sind die Betreuerinnen zum Teil über Jahre immer wieder bei ihren Klientinnen und Klienten, was eine spezielle persönliche Bindung herstellt. Erkrankt dann eine Person ernsthaft oder stirbt, ist die Betroffenheit meist so gross, wie wenn es jemand aus dem familiären Umfeld wäre. Oder wenn die Mitarbeitenden einen Klienten gestürzt vorfinden. Dann ist die fachliche Reaktion sehr wichtig. In diesen Fällen schätzen wir die FHL-interne Zusammenarbeit mit anderen Diensten wie der Spitex, Psychiatrie-Spitex oder dem Nachtdienst sehr. Nur in guter Zusammenarbeit können wir die Klientinnen und Klienten in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung in allen Bereichen vollumfänglich unterstützen.

Dann sind da noch die schwierigen, herausfordernden Situationen. Sei dies, wenn eine Klientin oder ein Klient Schmerzen hat und darum einen etwas unsanften Ton anwendet oder die Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeitenden nicht entgegenbringen kann. Andere Beispiele können herausfordernde Situationen bei Menschen mit Demenz sein. Da erleben wir sehr verschiedene Situationen, die belastend sein können. Aber auch bei den an Demenz erkrankten Personen erleben wir sehr schöne Momente. Die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit ist unser Motor und unsere Freude, uns täglich den Herausforderungen zu stellen.

Barbara Hoop: Für mich schwierige Aspekte sind solche, in denen ich mich in einem moralischen Dilemma befinde. Dabei denke ich an Situationen, wenn Angehörige andere Vorstellungen und Wünsche haben als die Klientinnen oder Klienten. Gerade in palliativen Situationen sind solche Differenzen oft schwer auszuhalten. Durch feinfühlige Kommunikation – Gespräche mit allen involvierten Personen – gelingt es meist, die scheinbar festgefahrene Situation zu lösen, was umso schöner ist.

Was Sie schildern, hängt sicher auch damit zusammen, dass sich der Beruf und die Aufgaben entwickeln. Wie haben sich die Spitex und die Betreuung in den vergangenen Jahren gewandelt?

Barbara Hoop: Wir spüren eine Veränderung und einen Zuwachs unserer Klientel: Personen, werden immer früher und mit diversen Erkrankungen aus dem Spital entlassen – wie schon erwähnt mit Unterstützung durch neuste Technologien –, haben den Wunsch, zu Hause zu sterben. Auch spüren wir eine Zunahme an psychiatrischen Erkrankungen. Dies fordert eine hohe Fachkompetenz von unseren Mitarbeitenden, um komplexe Situationen kompetent handhaben zu können. Aufgrund dieser Entwicklung können und müssen wir auf das Wissen und die Erfahrung unserer Wissensträgerinnen mit spezialisierter Fachkompetenz in den verschiedenen Bereichen wie Palliativ Care, Wundmanagement, Diabetes, Aromapflege, Demenz und Schmerz zurückgreifen. Auch im Bereich psychiatrische Pflege haben wir ein spezialisiertes Team, das unsere Klientinnen und Klienten mit psychiatrischen Erkrankungen unterstützt. Zudem ist die interne bereichsübergreifende Zusammenarbeit mit einem gemeinsamen Betreuungs- und Pflegeziel ein wichtiger Bestandteil der gelingenden Arbeit für die Klientinnen und Klienten.

Yvonne Bertsch: Die geforderte, schnelle Verfügbarkeit unserer Leistungen rund um die Uhr, bei einer gestiegenen Nachfrage, stellt uns vor zunehmend vor grössere Herausforderungen. Aus diesem Grund haben wir vor drei Jahren ein eigenes Nachtwachenteam aufgebaut, das nur für Einsätze in der Nacht da ist. Spürbar ist auch eine steigende Tendenz der notwendigen Unterstützung von Familien mit Kindern. Diese Familien sind einer hohen Belastung ausgesetzt aufgrund einer langwierigen Erkrankung eines Elternteiles oder eines Kindes mit körperlichen und psychischen Einschränkungen, das die volle Aufmerksamkeit der Eltern benötigt. Dieser Herausforderung haben wir uns gestellt: Seit Januar 2023 übernimmt diese Betreuungssituationen unser fachkompetentes Kinderteam mit Fachfrauen und -männern Betreuung sowie einer Sozialpädagogin. Ebenfalls wurde in den letzten Jahren vermehrt ein Augenmerk auf den Schwerpunkt Demenz gelegt. Auch dort sind spezifisch ausgebildete Fachpersonen für Klientinnen und Klienten wie auch beratend für die Mitarbeitenden im Einsatz.

Wie steht es um den medial häufig beschworenen Fachkräftemangel? Spürt die Familienhilfe Liechtenstein etwas davon und wie wirkt sie ihm entgegen?

Yvonne Bertsch: Auch bei uns ist der Fachkräftemangel ein Thema, ist Realität geworden. Der Arbeitsmarkt ist hart umkämpft. Es bedarf vermehrter Anstrengungen, um qualifiziertes Personal zu finden, um die Stellen besetzen zu können. Wie bereits erwähnt, ist aufgrund der Demografie und weiterer Einflussfaktoren wie kürzerer Spitalaufenthalte, vorübergehender Knappheit bei stationären Langzeitpflegeplätzen, aber vor allem auch entsprechend dem Wunsch vieler Menschen, zu Hause betreut und gepflegt zu werden, eine zunehmende Nachfrage nach Pflege- und Betreuungsleistungen bei der FHL zu verzeichnen. Das bedeutet, dass wir nicht nur freiwerdende Stellen, sondern auch neu zu schaffende besetzen müssen.

Für uns als Arbeitgeber ist es enorm wichtig, dass wir den Mitarbeitenden einen attraktiven Arbeitsplatz mit einer sinnstiftenden Arbeit bieten können, es ihnen ermöglichen, ihre Arbeit wertzuschätzen, dass sie Unterstützung von Vorgesetzen und Fachverantwortlichen in den verschiedenen Situationen in ihrer täglichen Arbeit erhalten. Das heisst: Wir achten sehr darauf, dass die Mitarbeitenden in den oftmals komplexen Situationen nicht überfordert sind, das gehört zu unserer Betriebskultur. Ein weiterer Aspekt ist sicher die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf. Das heisst, dass eine hochflexible Teilzeitarbeit gewährleistet werden muss. Dies stellt uns als Betrieb mit einer Leistungserbringung an 24 Stunden pro Tag an 365 Tagen im Jahr auch vor Herausforderungen. Viele Wünsche bezüglich Arbeitszeiten können berücksichtigt werden, jedoch nicht alle. Das gilt es aber bereits bei der Anstellung zu klären. Wir bilden in der Familienhilfe Liechtenstein Assistentinnen Gesundheit und Soziales, Fachfrauen/Fachmänner Gesundheit und diplomiertes Pflegefachpersonal HF aus. In den letzten Jahren wurde viel in den Bereich Ausbildung investiert und zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. In diesem Zusammenhang möchte ich das Wohlwollen der Klientinnen und Klienten gegenüber unserer Lernenden beziehungsweise Studierenden nicht unerwähnt lassen, denn ein Grossteil der praktischen Ausbildung findet ja bei ihnen zu Hause statt. Trotzdem könnten wir unseren Bedarf an Fachpersonal niemals allein mit den von uns ausgebildeten Personen decken.

Ausbildung ist das eine, Weiterbildung das andere. Wie ist es darum bei der FHL bestellt?

Barbara Hoop: Die Weiterbildung der Mitarbeitenden ist in der Struktur der FHL fest verankert und wird stark gewichtet. Sei dies einerseits, um Fachkompetenzen zu vertiefen, andererseits um zusätzliche Fachkompetenzen zu erlangen. Die Sicherung der Fachkompetenz ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Ich leite für neue Mitarbeitende der Betreuung und der Spitex Einführungskurse. In der Betreuung erarbeiten wir Grundlagen der Pflege wie Körperpflege, Anziehen von Kompressionsstrümpfen oder Transferübungen. In der Spitex liegt der Schwerpunkt auf dem Pflegeprozess und der Pflegedokumentation. Zudem arbeiten wir an verschiedenen Projekten – unter Einbezug der Mitarbeitenden –, an unterschiedlichen Fragestellungen gezielt an der Weiterentwicklung der Familienhilfe. Unerlässlich dabei ist der Einbezug von externen Expertinnen und Experten. Des Weiteren erwerben sich Mitarbeitende an externen Weiterbildungen zusätzliches Fachwissen, das wir dann gemeinsam in der FHL implementieren und alle davon profitieren lassen.

Wir haben darüber gesprochen, wie sich die Aufgabenfelder der Familienhilfe Liechtenstein in den vergangenen zehn Jahren entwickelt haben. Wo steht sie heute?

Yvonne Bertsch: Für mich ist vor allem die Entwicklung in den letzten Jahren dahingehend spürbar, dass wir zu einer Einheit zusammengewachsen sind. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche hat sich sehr intensiviert. Wir arbeiten alle an denselben Zielen zum Wohle unser rund 1400 Klientinnen und Klienten – nicht zuletzt natürlich auch aufgrund der komplexeren Pflege- und Betreuungssituationen, die wir begleiten dürfen. Alles aus einer Hand, aus der Hand der Familienhilfe Liechtenstein.

Barbara Hoop: Die Familienhilfe ist ein wichtiger Leistungserbringer im ambulanten Bereich des liechtensteinischen Gesundheits- und Sozialwesens. Sie ist aus Liechtenstein nicht mehr wegzudenken.

An Ihren Ausführungen ist spürbar, dass Sie gerne bei der Familienhilfe angestellt sind. Was macht deren Reiz als Arbeitgeberin aus?

Barbara Hoop: Ich arbeite sehr gerne in der Familienhilfe, da ich einer sinnvollen und abwechslungsreichen Tätigkeit nachgehe, grosse Unterstützung der FHL erfahre und sie gekennzeichnet ist von gegenseitiger Wertschätzung und Teamgeist.

Yvonne Bertsch: Barbara hat alles gesagt. Mir geht es genauso.