Die Strategie muss stimmen

«Wenn die Strategie stimmt, hat ein Anleger schon viel für die Performance getan.» Thomas Wille, Chief Investment Officer

Anlageresearch ist Teamarbeit, sagt Thomas Wille, Chief Investment Officer, und verrät, wann er mit seiner Arbeit wirklich zufrieden ist.

Herr Wille, «Geld soll arbeiten», haben Sie kürzlich an einer Veranstaltung gesagt. Was genau meinen Sie damit?
Thomas Wille:
Geld oder Kapital ist ein Produktionsfaktortor, genau wie Arbeit, Wissen oder wirtschaftlich genutzter Boden. Das Ziel ist, mit Geld Mehrwert zu schaffen. Wer mittels Aktien oder Anleihen einem Unternehmen oder dem Staat Geld zur Verfügung stellt, mit anderen Worten Kapital investiert, erwartet deshalb zu Recht eine Rendite beziehungsweise einen positiven Effekt auf sein Vermögen.

Und welche Aufgaben hat Ihre Abteilung in diesem Zusammenhang?
Unsere wichtigste Aufgabe: Wir erstellen eine Anlagestrategie sowie Analysen, Empfehlungen und Anlageideen, die unsere Kunden darin unterstützen, fundierte Anlageentscheide zu fällen und eine attraktive, risikoadjustierte Anlagerendite zu erzielen. Eine weitere Aufgabe, die zunehmend wichtiger wird: Wir zeigen unseren Kunden transparent auf, wie nachhaltig ihre Anlagen sind. Insbesondere enthält jede unserer Aktienempfehlungen eine fundierte Nachhaltigkeitsbeurteilung. Und die dritte Aufgabe: Wir müssen unseren Kunden Anhaltspunkte geben, welche Renditen für die von ihnen eingegangenen Risiken realistisch sind.

Was verstehen Sie unter attraktiven, risikoadjustierten Renditen?
Anleger vergessen manchmal, dass Rendite und Risiko eng zusammenhängen: Hohe Renditen lassen sich nur mit entsprechend höheren Risiken erzielen. Aus Sicht des Anlegers ist eine Rendite dann attraktiv, wenn er für das eingegangene Risiko adäquat entschädigt wird. Welcher absoluten Renditehöhe dies entspricht, ist natürlich stark vom jeweiligen Anlageumfeld abhängig. Zur Jahrtausendwende war es noch realistisch, auch mit geringem Risiko eine Anlagerendite von fünf bis sechs Prozent zu erzielen. Im aktuellen Umfeld mit Tief- oder sogar Negativzinsen müssen Anleger ihre Erwartungen massiv nach unten anpassen, weil der Renditebeitrag von der Zinsseite fehlt. Zur Illustration: Damals konnte man mit zehnjährigen US-Staatsanleihen noch Renditen von über sechs Prozent erwirtschaften. Heute liegt diese Rendite bei zwei Prozent. In der Eurozone, bzw. in Deutschland, und in der Schweiz ist dieser Beitrag sogar nahe null.

Was bedeutet das konkret? Oder anders gefragt: Wie viel Rendite ist heutzutage realistisch?
Bei einem wenig risikofreudigen Anleger mit einer konservativen Anlagestrategie aus Aktien, Anleihen und vielleicht einem kleinen Anteil alternativer Anlagen sollte mittel- bis langfristig über einen Wirtschaftszyklus der reale Kapitalerhalt das Minimalziel sein. Das heisst: Bei dem angestrebten Inflationsziel der Notenbanken von zwei Prozent sollte die absolute, erzielbare Rendite mindestens ebenfalls zwei Prozent betragen. Im Idealfall, insbesondere wenn die Aktienmärkte und alternative Anlageklassen mitspielen, sollte diese natürlich auch höher ausfallen.

Sie geben Kunden Empfehlungen, wie diese ihr Vermögen investieren sollen. Wie gehen Sie dabei vor?
Die Grundlage unserer Anlagestrategie ist die Analyse des globalen gesamtwirtschaftlichen Umfelds. Wir schauen beispielsweise Grössen wie Wachstum oder Inflation an und erarbeiten Szenarien, wie sich diese in einzelnen Ländern oder Wirtschaftsregionen entwickeln könnten. Hierzu müssen wir auch Faktoren und Akteure untersuchen, die diese Grössen beeinflussen, etwa die Politik der Zentralbanken, die Fiskalpolitik der wichtigsten Regierungen, die Unternehmensinvestitionen oder die Konsumentenstimmung.

Und was nützt diese Analyse dem Anleger?
Die gesamtwirtschaftliche Analyse ermöglicht uns, Erwartungen über die Renditeaussichten und Risiken der verschiedenen Anlagekategorien in einzelnen Ländern, Regionen und Sektoren abzuschätzen. Diese wiederum sind die Basis für die Definition der Anlagestrategie, also der optimalen Aufteilung des Vermögens auf einzelne Anlageklassen, Länder und Währungen. Viele Anleger glauben fälschlicherweise, dass ihre Rendite von den vielzitierten «heissen Aktientipps» abhängt. Verschiedene Studien zeigen hingegen, dass es die Anlagestrategie ist, welche für rund 70 bis 80 Prozent der langfristigen Anlageredite verantwortlich ist. Mit anderen Worten: Wenn die Anlagestrategie stimmt, hat ein Anleger schon viel für eine gute Performance getan.

Spielt die Auswahl einzelner Titel demnach keine Rolle?
Doch, natürlich. Ein Portfolio besteht ja nicht aus einer Anlagestrategie, sondern letztlich aus einzelnen Titeln oder Anlagefonds. Wir sind überzeugt von dem Mehrwert einer aktiven Anlagestrategie. Deshalb ist auch die Titelselektion wichtig. Sie kann den Ausschlag dafür geben, ob mit der richtigen Strategie lediglich eine durchschnittliche oder eine überdurchschnittliche Rendite erzielt wird. Wir legen deshalb grossen Wert darauf, dass unsere Finanzanalysten attraktive Anlageideen zu einzelnen Titeln oder Fonds entwickeln, mit denen unsere Kunden einen Mehrwert erzielen können.

Welche Skills muss denn ein guter Finanzanalyst mitbringen?
Natürlich muss er zunächst über die typischen Analysefähigkeiten verfügen, also mathematisches Flair sowie vertiefte volks- und betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Ein grosser Teil unserer Arbeit besteht ja aus dem Sammeln, Modellieren und Interpretieren von Daten. Er sollte ebenso Erfahrung mit den Finanzmärkten mitbringen, also Blasen und Crashes schon selbst miterlebt haben. Er benötigt aber auch Soft Skills, soll also Bauchgefühl haben und Emotionen zulassen. Den rein rationalen Investor gibt es nur im Labor. Schliesslich muss er Ruhe ausstrahlen und über genügend Standvermögen verfügen, um den Gegenwind auszuhalten, wenn die Märkte verrücktspielen oder sich für eine gewisse Zeit entgegen seinen Erwartungen entwickeln.

Sind Analysten Einzelkämpfer?
Nein, definitiv nicht. Im Anlageresearch und bei der Anlagestrategie ist Teamarbeit zentral. Wenn wir einen Analysten neu einstellen, ist deshalb die wichtigste Voraussetzung, dass er ins Team passt. In einer komplexen Welt, in der beinahe alles mit allem zusammenhängt, sollte ein Researchteam möglichst divers zusammengesetzt sein. Wir brauchen also einen Mix von Spezialisten mit unterschiedlichstem Background und Know-how, die ihr spezifisches Wissen einbringen, sich gegenseitig ergänzen, aber auch herausfordern können.

Welche Rolle spielen Sie dabei?
Ich bin zwar für die Formulierung der Anlagestrategie und somit der Hausmeinung verantwortlich, sehe mich aber vor allem als Mitglied des gesamten Teams Research und Anlagestrategie. Einerseits bin ich weniger intensiv in die tägliche Analysearbeit eingebunden und andererseits nicht auf jedem einzelnen Gebiet ein Spezialist. Meine Rolle ist es, eine übergeordnete Perspektive einzunehmen und mit dem Strategie-Team, welches für unsere anlagepolitische Hausmeinung zuständig ist, die Grosswetterlage zu definieren. Ich bin aber nicht der «Vordenker», sondern mehr der Moderator, der auch einmal unangenehme oder herausfordernde Fragen stellen darf. 

Und wann sind Sie mit sich und dem Team zufrieden?
Dann, wenn unsere Kunden aufgrund unserer Empfehlungen eine gute Rendite erzielen. Damit unsere Kunden gut schlafen können, muss unsere Fehlerquote tief liegen. Das heisst: Wir sollten in mindestens zwei von drei Malen richtig liegen, und beim dritten Mal sollte sich der Schaden in Grenzen halten. Finanzanalysen sind oft sehr technisch und mit Fachbegriffen gespickt. Deshalb befriedigt es mich immer sehr, wenn unsere Analysen und Empfehlungen für unsere Kunden und Berater nachvollziehbar und verständlich sind. Das für mich schönste Kompliment eines Kunden lautete: «Ich habe verstanden, was Sie gesagt haben und was es für mich bedeutet.» 

Genau das möchten wir mit unserer Arbeit erreichen.


Anlagestrategie

Thomas Wille hat einen Masterabschluss der Universität St. Gallen in Finance und verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung als Anlagestratege und Assetmanager. Als Chief Investment Officer ist er seit 2016 für die Anlagestrategie und somit für die Hausmeinung der LGT Privatbanken in Europa verantwortlich.