Wo bleibt die Opposition in Liechtenstein?

Im Landtag gehören gegenwärtig fünf von 25 Abgeordneten der Opposition an: drei von der FL und zwei von der DpL. Das sind umgerechnet 20 Prozent gegenüber 80 Prozent der Regierungsparteien. Diese Zahl kann man auch als Schwäche der Opposition deuten. Denn das Verhältnis 1:4 zugunsten der Mehrheitsparteien ist schlichtweg ungünstig für ein demokratisches Land. Die Regierungsparteien sollten ein Interesse an einer gut
funktionierenden Demokratie haben.

Streitereien warfen Opposition in der Wählergunst zurück
So erhebt sich die Frage nach dem verhältnismässig nicht besonders guten Abschneiden der Oppositionsparteien, die  bei den Landtagwahlen 2021 angetreten sind.

Bei der FL wirkten sich laut einer Umfrage des Liechtenstein-Instituts von Direktor Christian Frommelt die inerparteilichen Spannungen bereits auf die Wahl 2021 aus, die sich dann einige Monate später vollends entluden. Anstatt der angestrebten fünf Mandate musste sich die Freie Liste mit drei Mandaten begnügen.

Die Wahlniederlage der DU und der Erfolg der DpL war wiederum von deren Spaltung geprägt. So verlor die DU  einen beträchtlichen Teil der Stammwählerschaft an die DpL, aber auch an andere Parteien. Die Spaltung hat beiden Parteien geschadet, der DU mehr als den DpL. Für die DU könnte es das gewesen sein. Denn sie treten praktisch kaum  mehr in Erscheinung, nachdem sich der Gründungsvater Harry Quaderer offiziell aus der Partei zurückgezogen hat. Vor der Trennung hatte die DU fünf Mandate und war zusammen mit der Freien Liste eine ernstzunehmende Opposition, die manches im Landtag durchbrachte. An den Erfolg von DU bei ihrer Gründung konnte die DpL jedoch nicht anschliessen. So erhielt sie als neue Partei auch nicht den Sympathiebonus, den man der DU damals entgebenbrachte. 

Die Umfrage des Liechtenstein Instituts erkennt in den Wahlergebnissen der Landtagswahl vom Februar 2021 auch ein Gefahrenpotenzial für die DpL. So war der Grossteil der Stimmen auf die beiden Spitzenkandidaten Herbert Elkuch und Thomas Rehak konzentriert. Dadurch – so das Institut – bestünde bei künftigen Wahlen ein Risiko für eine ähnliche Entwicklung wie bie der DU, sollten eine oder gar beide Leitfiguren ausscheiden. 

Interview mit den parteien Fl und DpL
Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen den Regierungsparteien mit 80 Prozent und der Opposition mit 20 Prozent im Parlament?
Patrick Risch: Ich habe mir für die Freie Liste bei den letzten Wahlen fünf Sitze erhofft. Zusammen mit den anderen Oppositionsparteien hätten wir dann mehr Gewicht im Landtag gehabt. Mit drei Sitzen hat die Freie Liste jedoch Fraktionsstärke, und mit der DpL sind wir doch immerhin fünf Abgeordnete, welche als Opposition im Land alternative Ansichten einbringen und helfen, das Feld für eine Stärkung der Opposition für die nächsten Jahre zu bestellen. 

Thomas Rehak: Das Volk entscheidet alle vier Jahre an der Wahlurne, wie das Parlament zusammengesetzt wird und welche Parteien die Zukunft gestalten sollen. Eine starke Opposition im Parlament wäre wichtig, um die Regierung besser kontrollieren zu können und ein Gegengewicht gegenüber den dominanten Regierungsparteien darzustellen. Die konservative Opposition rechts der Mitte wurde bei den letzten Wahlen leider auf zwei Sitze dezimiert, was einerseits eigenes Verschulden und andererseits der Coronapandemie geschuldet ist. Es ist damit ganz klar schwieriger geworden, unserer Aufgabe als Opposition nachzukommen. Wir werden nun mit weniger «Manpower» unsere Politik konsequent weiterverfolgen, so wie wir es unseren Wählern versprochen haben.

Brauchen wir eine Opposition und wie stark sollte diese sein?
Patrick Risch: Eine lebendige Demokratie lebt von einer starken Opposition. Eine starke Opposition kontrolliert indirekt die Regierungsparteien und sollte daher in der Geschäftsprüfungskommission des Landes mit der Mehrheit vertreten sein. Dies wurde Anfang dieses Jahres von den beiden Regierungsparteien kurzfristig infrage gestellt. Doch schliesslich siegte die Vernunft, auch bei den beiden Grossparteien.

Thomas Rehak: Für eine funktionierende Demokratie ist die Opposition ein wichtiger Faktor. Gerade in unserem Land, wo auch die Medien im Einflussbereich der Parteien und der Regierung sind, sind unabhängige Abgeordnete wichtig. Die Abgeordneten der Oppositionsparteien sind nicht an Koalitionsverträge gebunden und können deshalb Entscheidungen frei und ohne Zwang treffen und auf Missstände hinweisen. Das eröffnet die Möglichkeit, Themen einzubringen, die nicht von im Hintergrund agierenden parteipolitischen Strategen gefasst werden. Über die Zusammensetzung und damit auch über die Grösse der Opposition entscheidet das Volk. Als Demokraten akzeptieren wir Volksentscheidungen und stellen diese nicht infrage.

Die Zahl 20 Abgeordnete oder 80 Prozent zeigt aber auch auf, dass die Bevölkerung bei den jüngsten Wahlen auf die FBP und VU gesetzt haben. Wie würden Sie diese Zahl interpretieren?
Patrick Risch: Jahrzehntelang gab es in Liechtenstein nur zwei Parteien, die sich praktisch immer auch in einer Koalition fanden und somit die Regierung stellten. Mit dem Einzug der Freien Liste vor fast 30 Jahren hielt die Opposition mit zwei Sitzen erstmals Einzug in den Landtag. Durch die Spaltung der DU und DPL wurde die Opposition im Landtag geschwächt, was bedauerlich ist. Die Freie Liste sitzt heute mit drei Personen im Landtag. Sie hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem konstanten Faktor in Liechtensteins Politik entwickelt und strebt danach, das vorhandene Potenzial auszuschöpfen.

Thomas Rehak: Das Volk orientierte sich bei den letzten Wahlen am Bekannten und vordergründig an bewährten Modellen. Dies wurde einerseits durch die Coronakrise und andererseits durch interne Konflikte innerhalb der Oppositionsparteien stark befeuert. Innerparteiliche Konflikte wirken sich immer negativ auf Wahlresultate aus. Parteien bestehen aus Menschen, innerparteiliche Konflikte entstehen meist durch zwischenmenschliche Herausforderungen, die sich nicht mehr lösen lassen. In der Zwischenzeit wurde jede Partei von solchen Auseinandersetzungen heimgesucht. Die Quittung erhalten die Parteien jeweils bei den nächsten Wahlen. So funktioniert unser demokratisches System, welches auf den zwei Souveränen Fürst und Volk aufbaut.

Glauben Sie, dass die Grossparteien das ganze Spektrum der Wählerschaft abdecken?
Patrick Risch: Nein. Die Freie Liste ist erwiesenermassen die einzige wahre Alternative links der Mitte im politischen Spektrum. Die VU und die FBP versuchen sich vor den Wahlen immer wieder ein grün-soziales Mäntelchen anzuziehen, das dann nach den Wahlen gerne wieder abgestreift wird.

Thomas Rehak: Nein, die Regierungsparteien decken nie das ganze Spektrum ab. Es gibt immer einen Teil in der Bevölkerung, der mit den Entscheiden der Grossparteien unzufrieden ist. Mit den letzten Wahlen sind sowohl die VU als auch die FBP weiter nach links gerückt, die konservativen und wirtschaftsliberalen Kräfte sind geschwächt worden. Das macht unsere Arbeit noch wichtiger. Die Opposition greift eher Anliegen von Minderheiten auf, die für die Grossparteien zu wenig «Fleisch am Knochen» haben, aber trotzdem wichtig sind. Manche Vorstösse der Opposition werden zwar vorerst nicht ernstgenommen, werden aber dann später trotzdem umgesetzt. Motionen der Oppositionsparteien sind auch schon, ohne den Vorstoss zuerst zu beantworten, direkt umgesetzt worden. Damit setzen sich Regierung und Regierungsparteien den Lorbeerkranz selbst auf, obwohl die ursprüngliche Initiative von der Opposition ausging. Das ist zwar nicht schön, aber dank der Opposition geht trotzdem etwas vorwärts.

Es droht auf längere Sicht die Rückkehr zum Zweiparteiensystem im Land. Wie beurteilen Sie diese Möglichkeit?
Patrick Risch: Als ein Fantasiegespinst oder Wunschträume der VU und der FBP. Die Opposition in Liechtenstein wird mit der Freien Liste weiterhin für linke Politik sorgen.

Thomas Rehak: Das ist sehr unwahrscheinlich. Heute besteht eine Stammwählerschaft für die Freie Liste wie auch für die Oppositionsparteien rechts der Mitte. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Loyalität der Wähler zu ihren Parteien immer mehr abnimmt und das Wahlvolk situativ abstimmt. Das bedeutet, dass der Ausgang von Wahlen immer weniger vorausgesagt werden kann. Kleine Parteien haben es in unserem Land aber unvergleichlich schwerer sich zu etablieren, weil sie über keine «eigenen» Medien verfügen und die Landtagswahlen zu stark auf die Regierungszusammensetzung ausgerichtet sind. Ein weiteres Problem ist, dass immer weniger Leute bereit sind, sich für ein politisches Mandat, sei es in der Gemeinde oder auf Landesebene, zur Verfügung zu stellen. Volle Wahllisten bringen heute nicht einmal mehr die Grossparteien zustande.

Wer ist schuld am Rückgang der Oppositionsparteien in Liechtenstein?
Patrick Risch: Kann aufgrund nur eines Wahlergebnisses von einem Rückgang gesprochen werden? Noch bis 2013 bestand die Opposition im Liechtensteiner Landtag aus maximal drei Abgeordneten. 

Thomas Rehak: Die vergangenen Wahlen waren durch Corona und durch Konflikte innerhalb der Oppositionsparteien geprägt. Das hat zu deren Schwächung wesentlich beigetragen. Leider wurde das Angebot der DpL an die Die Unabhängigen, auf einer gemeinsamen Wahlliste zu den Landtagswahlen anzutreten, also eine Listenverbindung einzugehen, von der DU nicht angenommen. Das war kurzsichtig und hat den konservativen Kräften zwei Mandate gekostet.

Nun gilt es, in die Zukunft zu blicken und Wähler durch gute Arbeit zu überzeugen. Wir wollen einen Beitrag im politischen Entscheidungsfindungsprozess leisten zum Wohl der Gemeinschaft in Liechtenstein.

Was kann die Opposition tun, um ihre Rolle im Lande zu stärken
Patrick Risch: Die Fraktion der Freien Liste wird ihren Werten auch in den nächsten Jahren treu bleiben. Wir werden weiterhin Vorstösse einbringen: für einen besseren Umweltschutz, eine stärkere Demokratie und ein sozialeres Liechtenstein.

Thomas Rehak: Auch unangenehme Themen aufgreifen und diese zur Diskussion stellen. Ausserdem muss auf kostengünstige Art und Weise die Öffentlichkeitsarbeit der Opposition weiter verstärkt werden. Die beiden Tageszeitungen berichten zwar von uns, oft jedoch nur am Rande. Für Oppositionsparteien sind daher preisgünstige Plattformen, zum Beispiel Lesebriefspalten, für die öffentliche Wahrnehmung ein wichtiges Instrument. Speziell auch unabhängige Medien wie die lie:zeit und 1FLTV sind sehr wertvoll, um mit wichtigen Themen an die Öffentlichkeit zu gelangen. An dieser Stelle einen Dank an diese beiden Medien.

Wie interpretiert Ihre Partei die Oppositionsrolle?
Patrick Risch: Als das soziale, demokratische und ökologische Gewissen Liechtensteins.

Thomas Rehak: Unsere Aufgabe ist es, das Volk nach bestem Wissen und ohne Nebenrücksichten im Landtag zu vertreten. Ein wichtiger Aufgabenbereich der Opposition ist gemäss Gesetz die Kontrolle der Regierung und der gesamten Staatsverwaltung. Daher soll die Mehrheit der Geschäftsprüfungskommission des Parlaments aus Mitgliedern der Opposition bestehen. Die Aufgabe einer Opposition ist es, das politische Geschehen kritisch zu beobachten, Missstände aufzudecken und. wenn nötig. politische Entscheide vors Volk zu bringen. Beispiele sind der Sonnenkreisel Triesen oder die S-Bahn-Abstimmung. Nötigenfalls muss die Opposition auch Konsequenzen fordern, siehe Postskandal usw.

Als Opposition wollen wir das Ohr nah beim Volk haben und Ideen aus dem Volk ins Parlament tragen. Aufgabe der parlamentarischen Opposition ist es, auch die Anliegen von Einzelnen, wie sie in Petitionen geäussert werden können, und Minderheiten zu prüfen und diese so weit wie möglich im Parlament einzubringen.