Verantwortungsbewusste Digitalisierung an Schulen?

Der Auftrag zur Einführung von digitalen Endgeräten an Schulen seitens der Regierung beruht u.a. wie in der seinerzeitigen Interpellationsbeantwortung (LNR 2019-1355) angegeben, hauptsächlich auf drei Säulen:

  1. Die Erfahrungen des «Pilotprojektes» der Primarschule Ruggell sowie dessen Evaluation. Diese Evaluation wiederum stützt sich im Grundsatz auf einen Fragebogen, welcher u.a folgende Bewertungskriterien enthält:
    «Die Wahl der Tablets in Form von iPads hat die Gerätebeschaffung bei uns zu Hause beeinflusst» oder «Das iPad wirkt sich positiv auf das Lernverhalten Ihres Kindes aus» sowie «Sie sind davon überzeugt, dass die iPads in der Schule gewinnbringend eingesetzt werden.» In 10 der 21 Bewertungssätze kommt der Markenname IPad vor. 20 Sätze äussern eine positive Haltung gegenüber der Nutzung. Der Fragebogen wurde von 33 Personen beantwortet. Davon standen dem Projekt 60% positiv gegenüber.
  2. Man bezieht sich dreimal auf eine Studie der PH Schwyz: «Lernen und Unterrichten in Tabletklassen» aus dem Jahre 2015.  Diese Studie wurde im Auftrag von Samsung realisiert.
  3. 16 Unterichtsbeobachtungen »durch eine Inspektorin des Liechtensteiner Schulamtes» sowie einer «Expertin des Erziehungsdepartementes St.Gallen». Letztere möchte auf Anfrage keine Auskunft geben und nichts damit zu tun haben und vermeldet gereizt: „Was wollen Sie von mir? Das Schulamt in Liechtenstein ist dafür zuständig“.

Kurz gesagt beruht die Entscheidung der Regierung zur millionenschweren Anschaffung von digitalen Endgeräten an Schulen auf rund 20 positiv ausgefüllte Elternfragebögen mit fragwürdigen Kriterien, einer Studie im Auftrag des Technikkonzerns Samsung sowie aus 16 öffentlich nicht weiter definierten «Unterrichtsbeobachtungen»: «Die  Erfahrungen  im  Pilotprojekt  in  Ruggell  (Evaluationsbericht Tablet-Projekt GS  Ruggell,  2018)  sowie  weitere  Pilotprojekte  in der  Schweiz  (z.B.  an  der  PH Schwyz)  bilden  eine  wichtige Grundlage  für  den  Entscheid  der  Regierung.  Aufgrund  der Auswertung  des  Pilotprojekts  in  Ruggell  konnten  klare  Vorteile nachgewiesen werden, wenn die Schülerinnen und Schüler ab der 1. Klasse persönlich ausgestattet  sind Die  Regierung  ist  daher überzeugt, einen  guten und verantwortungsbewussten  Entscheid  getroffen  zu haben.»

Anlässlich dieser Interpellationsbeantwortung wird auch eine Zusammenfassung von Meta – Analysen von Heike Schaumburg zitiert: « Studien  und  Meta-Analysen  kommen  immer  wieder  zum  Schluss:  Auf   die  Lehrperson  kommt  es an. Kein noch so ausgeklügeltes (digitales) System kann sie ersetzen.» Aus dieser Zusammenfassung wird folgendes weggelassen: « Allerdings ist die Lerneffektivität gemessen an Aufwand und Kosten eher gering und im Vergleich zu anderen Maßnahmen zur Lernförderung unterdurchschnittlich. Aus den vorliegenden Studien lässt sich auch nicht eindeutig ableiten, dass bestimmte Ausstattungskonzepte besonders wirksam sind.»

Bereits 2019 wurde u.a. durch die New York Times bekannt, dass  Eltern in Kaderstellen von Technologiekonzernen, dessen Produkte an unseren Schulen eingesetzt werden, ihre eigenen Kinder auf teure Privatschulen schicken, welche die Nutzung dieser Geräte verbieten. Steve Jobs verbot seinen Kindern sogar, das neue IPad zu nutzen. Gemäss einer Studie der OECD erfahren Bildungssysteme die viel Geld in die Digitalisierung gesteckt haben, gemäss Pisa Studie keine spürbaren Verbesserungen für Fächer wie Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Nach dem Vertrauensgrundsatz, möchte ich davon ausgehen, dass die zuständigen Fachgremien in Liechtenstein, über eine höhere Qualifikation als die Hersteller sowie die OECD Verantwortlichen verfügen.
Nachweislich bleiben jedoch durch die Umsetzung in dieser Form, gesundheitliche, pädagogische,  jugendschutz- sowie datenschutzrechtliche Belange, zum Nachteil von Kindern, auf der Strecke.

Z.b. wird an der Primarschule in Schaan gemäss «APP-Liste» trotz mehrfacher Beschwerden beim Schulamt weiterhin das Programm Quizlet genutzt. Das Mindestalter von Quizlet wird gemäss Hersteller mit 13 Jahren deklariert, darf u.a. darum ohne explizite Erlaubnis eines Elternteils nicht an Schulen genutzt werden, da mit Quizlet kein Auftragsverarbeitungsvertrag gemäss DSGVO besteht. Die Kinder müssen sich mit vollem Namen registrieren. Die Leistungsdaten werden mit Unternehmen wie «Facebook», «YouTube», «PayPal» sowie vielen weiteren bekannten «Freunden» des Daten- und Jugendschutzes geteilt.

Das Bildungsministerium schreibt bezüglich Mindestalter:
«Altersfreigaben sind Empfehlungen seitens der Her- bzw. Dienststellers, welche von Land zu Land unerschiedlich festgelegt, gehandhabt und respektiert werden. Die Verwendung neuer Dienste, Applikationen oder Plattformen wird im Unterricht von den Lehrpersonen angeleitet und diese werden zielgerichtet eingesetzt. So kann es durchaus sein, dass Dienste, Applikationen oder Plattformen schon vor Erreichen des empfohlenen Alters unter Anleitung und aufgrund von bestehenden Richtlinien eingesetzt werden können. Der angeleitete Einsatz von Lehrmitteln findet im geschützten Rahmen des Unterrichts statt und kann nicht mit einer Freizeitnutzung ohne jegliche Betreuung verglichen werden.»

Leider entspricht diese  Aussage aufgrund o.a. Tatsachen nicht der gesetzlichen Realität; ausserem werden die Programme z.B. am Liechtensteinischen Gymnasium auch ausserhalb eines durch Lehrpersonen «angeleiteten Einsatzes» wie z.B. auf dem Schulweg oder in Pausen genutzt. Möchten wir wirlich einen rechtsfreien Raum bzgl. Nutzung von Medien an Schulen für Kinder?

Charmant ist in dieser Hinsicht auch der Hinweis, dass Zuhause die Eltern die Verantwortung tragen. Wie soll das in einem Haushalt, in dem man sich an Altersbegrenzungen der Hersteller hält, funktioneren? Den Schulcomputer einziehen und den Kindern sagen, die Programme darauf seien nicht altersgerecht? Oder vielleicht jede Hausaufgabe mittels PC im Hintergrund überwachen?

Arthur Bras