Malen gehört zu seinem Leben

HOMO ERECTUS (GSECHTR), 2021, Öl auf Leinen, 120 x 160 cm

Im Gespräch mit dem ehemaligen Arzt und Künstler Arthur Jehle 

Arthur Jehle (62), in Liechtenstein bekannt geworden als tüchtiger Arzt, hat 2006 den Arztkittel mit jenem des Künstlers getauscht und sich der Malerei verschrieben. Er hat sich schon immer mit der Kunst und dem Malen auseinandersetzt. Ihn faszinieren besonders die Gesichter und Gestalten von Menschen, die er 2015 zu malen begonnen und die er in einer Serie unter dem Titel «Gsechtr» bis heute fortgesetzt hat.

Arthur Jehle unterstreicht im Gespräch, dass ihn diese Serie auch weiterhin beschäftigen wird. Dazu der Künstler: «Intention ist es, menschliche neuropsychologische Daten zu bemalen und so vornehmlich die Spezies Homo sapiens in ihren Grundbedürfnissen darzustellen.» Aber das sei eine plumpe verbale Beschreibung, sagt Arthur Jehle.  

Du malst seit vielen Jahren, intensiv nach Aufgabe der Praxis für Allgemeinmedizin 2006. Warum malst du?
Arthur Jehle: Es geht darum, Dinge und Zusammenhänge der Realität, in der wir Menschen leben, zu ergründen. Das kann man mit Hilfe verbaler Sprache versuchen und Realität beschreiben. Sprachlich basiertes Denken ist limitiert. Andere Herangehensweisen, zum Beispiel mit malerischen Mitteln, ermöglichen es, neue Aspekte von Realität zu finden, vielleicht ansatzweise zu kommunizieren. Malen ist also unter anderem eine Möglichkeit, persönlich Erlebtes zu untersuchen und zu verinnerlichen, dann aber auch Kommunikationsmöglichkeit. Deshalb sollte man mit der verbalen Beschreibung von gemalten Bildern ja auch zurückhaltend sein – eine Position, welche viele Malende vertreten. 

Menschliche Grundbedürfnisse und darauf basierende Verhaltensweisen sind ein wichtiger Ansatz für mich beim aktuellen Malen. Grundbedürfnisse sind bei Menschen verschieden stark ausgeprägt, aufgrund genetischer und kulturell evolutiver Unterschiede. Soweit ist das die Theorie. 

Vielleicht wurde ich als Kind durch die leuchtenden Pigmente aus Kartonkübeln in der Werkstatt von Grossvater Rudolf infiziert, einem Malermeister, der in seiner Freizeit Bilder malte. Ein weiterer Grund zu malen: Seit wenigen Jahren macht mir allein schon der Umgang mit Farben und Malutensilien Spass. Das ging und geht vielen Menschen so, vor allem Kindern, obwohl Farben real ja nicht existieren. Farbeindrücke sind schöne Produkte unserer Gehirne.    

Was beachtest du dann beim konkreten Planen und Malen eines Bildes?
Beim Planen und Malen eines Bildes gibt es einige Faktoren zu berücksichtigen. Die seit Jahrzehnten sich rasant verändernde visuelle Alltagskultur ist die grosse Herausforderung. Sie hat Einfluss auf die zeitgenössische Bildrezeption. Dann ist die Einbindung des Zufalls wichtig oder auch der Umgang mit bewussten und unbewussten Denkinhalten und Gefühlen. Schliesslich sind Entscheidungen zu treffen, was konkrete Themen und Maltechnik anbelangt. Die Bilder entstehen durch eine Kombination von Überlegung und Intuition.

Welche Themen malst du aktuell?
2015 begann ich zunehmend, Gesichter, Gestalten zu malen. Die Serie der «Gsechtr», das bedeutet Gesichter und gesichtsähnliche Strukturen, begann 2018 und wird mich weiterhin beschäftigen. Intention ist es, menschliche neuropsychologische Daten zu bemalen und so vornehmlich die Spezies Homo sapiens in ihren Grundbedürfnissen darzustellen. Aber das ist eine plumpe verbale Beschreibung, die hier eben enden muss. 

NR. 605 (GSECHTR), 2021, Öl auf Leinen, 70 x 70 cm

Welche Maltechniken verwendest du für dieses Ziel?
Von Anfang 2018 bis Frühjahr 2020 malte ich mit Industriefarbe, Alkydharz, um genau zu sein, auf kleine Aluminiumplatten oder auf grossformatige Malgewebe. Diese Farbart eignet sich sehr gut, um durch Mischen verschiedener Farbtöne allerfeinst verästelte Strukturen zu erzeugen, die stellvertretend für komplexe Neuropsychologie von Lebewesen stehen sollen. Der harte Malgrund, das Aluminium, erlaubt solche Farbmischungen zudem besonders gut durch das Erzeugen eines Unterdrucks mittels eines rasch abzureissenden Malgewebes, welches zuerst auf der Farbschicht aufgedrückt ist. Im Frühjahr 2020 erschöpfte sich dieses Vorgehen und das Malen stagnierte. 

Waren und sind solche Bilder an Ausstellungen zu sehen?
Wenige solcher Bilder waren anlässlich der Triennale 2018 in Schaan und der Ausstellung «Li in Bern in Li» in Bern 2019 zu sehen, viele der Aluminium-Bilder waren in Eschen («Gsechtr und Lagerfür») 2019 zu sehen. Aktuell ist ein grossformatiges Bild – Alkydharz auf Malgewebe – aus dem Jahr 2020 im Kunstraum Engländerbau, zusammen mit Werken von sieben weiteren Ausstellenden anlässlich der laufenden Triennale 21 von «Visarte Liechtenstein», noch bis zum 3. Oktober zu sehen. Diese Malweise ist jetzt beendet.

Wie ging es weiter im Frühjahr 2020? Du hast ein kleines Buch geschrieben.
Aufgrund der Malprobleme beschloss ich, die bereits erwähnte Basis meines Malens, also philosophische und naturwissenschaftliche Daten über die Realität, verbal sprachlich im Sinne einer Neuorientierung zu formulieren. Ich versuchte, eine persönliche Positionierung, eine Erklärung von Realität von der Warte der sogenannten «Evolutionären Erkenntnistheorie» aus. Diese Schrift mit dem Titel «BEITRAG ZUR WELTERKLÄRUNG. Eine kritischrationale und empirische Sicht auf die Realität» wurde dieses Jahr im Deutschen Wissenschafts-Verlag in Baden-Baden publiziert. Das Büchlein ist aktuell neben dem erwähnten Bild an der Triennale zu sehen. Es war notwendig, mit dem Malen ein Jahr zu pausieren. Jetzt male ich wieder seit Mai 2021, – mit Ölfarbe auf Malgewebe.  

Was sind die Schwerpunkte im Buch?
Unter anderem sind das Fragen zum menschlichen Bewusstsein in kognitionswissenschaftlichem Sinne, zu Erkenntnistheorien verschiedener Art und zu menschlichen Grundbedürfnissen. Es wird versucht, menschliche Erkenntnisfähigkeit von Realität vor allem im Lichte der modernen Neurowissenschaften zu sehen. Unser gesamtes Wissen über die Realität, unsere Welt, ist ja, seriös wissenschaftlich gesehen, hypothetisch. Warum, was und wie Dinge und Zusammenhänge, zum Beispiel ein Molekül oder eine Galaxie, ausserhalb von unserer Wahrnehmung sind, können wir nicht wissen.

NR. 604 (GSECHTR), 2021, Öl auf Leinen, 70 x 70 cm

Welche der angesprochenen menschlichen Grundbedürfnisse berücksichtigst du in deinen Bildern?
Menschliche Grundbedürfnisse sind genetisch fixiert und stammesgeschichtlich herleitbar. Initial, seit 2015, war es vor allem aggressives Verhalten, inklusive Machtausübung und Kriegsführung, danach, seit 2019 war es zusätzlich der Drang, Besitz anzuhäufen, Geldäquivalente jeglicher Art zu erwerben. Beim erwähnten Bild der aktuellen Triennale ist das «Ökonomieloscht» genannt: Ein bienenähnliches und ein menschliches Wesen beanspruchen Honig respektive Geldäquivalente, biologisch gesehen eine Analogie. 

Malst du die «Gsechtr» jetzt anders?
Ja, meist deutlich gegenständlicher. Die Ölfarbe lässt einem aufgrund der langen Trocknungszeit und der Übermalbarkeit im Gegensatz zur Alkydharzfarbe Zeit für Details.

Wie lange dauert aktuell das Malen eines Bildes? Malst du täglich?
Nach der kopflastigen Planung des Bildes dauert dann das Malen bei einem kleinen Format wenige Stunden bis wenige Tage. Ich male aber nicht jeden Tag, ungefähr fünfzehn Stunden pro Woche.

Haben deine Bilder auch politische oder sozialkritische Inhalte?
Aufgrund der impliziten Thematik der menschlichen Grundbedürfnisse ist das so. Das Bild bei der aktuellen Triennale hat zum Beispiel als Fussnote einen Bezug zum Land Liechtenstein. Es geht mir aber beim Malen vor allem ums Untersuchen und ums Zeigen der bereits angesprochenen Sachverhalte. 

Wie würdest du deine Malerei im Kontext der Gegenwartsmalerei definieren? Gibt es Vorbilder?
Ohne schulische Ausbildung – ein Umstand, den ich teilweise bedauere – male ich wie jede andere Person zuerst einmal individuell. Mein Malen ist eher gegenständlich mit Bezügen zu Daten der Neurowissenschaften, Soziologie und Evolutionsbiologie. Vorbilder gibt es keine. Aber die Werke vieler Malerinnen und Maler gefallen mir sehr gut, was die Porträtmalerei angeht zum Beispiel jene von Kwangho Shin, Antony Micallef, Jenny Saville und Francis Bacon.

Werke vieler Malerinnen und Maler gefallen mir sehr gut, was die Porträtmalerei angeht zum Beispiel jene von Kwangho Shin, Antony Micallef, Jenny Saville und Francis Bacon.

Arthur Jehle, Künstler

 

Ist das Thema der Geschichte der Malerei wichtig für das persönliche Malen?
Ja, dieses Thema finde ich sehr wichtig. Einmal ist es grundsätzlich entscheidend, um das eigene Malen zum Beispiel von der Thematik oder Technik her besser zu definieren. Sinn und Zweck des eigenen Malens werden klarer verständlich. Dabei besteht natürlich auch die Gefahr, einfach etwas nachzuahmen. Das Auffinden neuer Wege ist ein Ziel. Dann ist es ebenfalls spannend und motivierend, zu sehen, was Menschen in verschiedenen Zeitaltern und Kulturkreisen geschaffen haben. Ein Beispiel ist urzeitliches Zeichnen und Malen: Das hat auf allen Kontinenten ausser der Antarktis stattgefunden. Wann Homo sapiens damit anfing, ist unbekannt. Die ältesten bis heute gefundenen Zeichnungen unserer Art stammen aus der Blomboshöhle in Südafrika. Sie sind 73’000 Jahre alt. 

Was für einen Stellenwert hat Malerei, insgesamt bildende Kunst in Liechtenstein? Gibt es eine Veränderung?
Ich habe da keinen Überblick. Aber der Stellenwert und die Akzeptanz haben sich jedenfalls in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten verändert, zum Positiven hin. Dafür haben viele Personen gearbeitet, unter anderem solche aus der Politik und aus verschiedenen Bereichen, die mit bildender Kunst zu tun haben. Zu nenen sind etwa das Kunstmuseum, die Kunstschule, die Kulturstiftung, Galerien, Kulturhäuser, Vereine und weitere, auch Medienschaffende und private Unterstützer, und insbesondere viele frühere und aktuelle Mitglieder unseres Vereins «Visarte Liechtenstein», der früher den Namen «BBKL» trug.