«Kostentransparenz ist im Service public zentral»

Digitalisierung, Liberalisierung und Klimaziele haben die Voraussetzungen für den Service public grundlegend verändert. Die Stiftung Zukunft.li hat sich des Themas daher in einer Studie angenommen. Projektleiterin Doris Quaderer gibt einen Einblick in die Ergebnisse und den Handlungsbedarf. Denn selbst wenn Liechtenstein in Sachen Corporate Governance gut aufgestellt sei, gibt es nach Ansicht der Stiftung einige Herausforderungen zu bewältigen.  

Die «Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft mit Infrastrukturgütern und -dienstleistungen zählt zu den Kernaufgaben des Staates», und: «Wie umfassend dieser Service public ausfallen soll und ob der Staat diese Leistungen selbst erbringt (…) ist eine politische Frage», schreiben Sie in der Einleitung Ihrer Studie. Was ist Ihre persönliche Meinung? Eher mehr oder eher weniger Service public?
Doris Quaderer: Service public braucht es dort, wo der freie Markt politisch gewünschte Dienstleistungen oder Güter nicht in ausreichender Menge, Qualität oder zu einem für alle erschwinglichen Preis hervorbringt. In unserer Studie haben wir die Bereiche Post, Telekommunikation, Gas, Elektrizität und öffentlicher Verkehr untersucht und überprüft, ob und in welcher Form Service public noch gerechtfertigt ist. Im Telekommunikationssektor sind wir beispielsweise zum Schluss gekommen, dass es aus souveränitätspolitischen Gründen gut ist, wenn der Staat im Besitz der Netzinfrastruktur ist. Als Dienstleister im Endkundengeschäft hat der Staat jedoch keinen Grund mehr, selbst aktiv zu sein. Liberalisierung und technischer Fortschritt haben zu Wettbewerb geführt, der vor 20 Jahren noch nicht vorhanden war. Es gibt heute genügend Telekommunikationsanbieter in Liechtenstein, welche die gesamte Angebotspalette der Telecom abdecken und das zu günstigen Preisen. Also kann sich der Staat aus dem Markt zurückziehen. 

Was gehört für Sie zwingend zum Service public, den ein Staat leisten muss?
Bildung, öffentliche Sicherheit und Gesundheitsversorgung sind sicher die Service-public-Klassiker. Aber es gibt noch viele andere Bereiche, in denen der Staat eine aktive Rolle spielt, um das Gemeinwohl zu fördern – sei es im Infrastruktur-, Kultur- oder Sportbereich. Über den Umfang der öffentlichen Leistungen kann man natürlich diskutieren. Wenn politisch Konsens darüber herrscht, dass zwingend jede Gemeinde eine vollwertige Poststelle braucht, dann muss man selbstverständlich aber auch bereit sein, die Kosten für die Poststellen zu übernehmen, wenn sich diese nicht rentieren. Denken Sie, die Diskussion um die Poststelle Triesen wäre gleich verlaufen, wenn die Gemeinde den Steuerzuschlag hätte erhöhen müssen, um die Poststelle zu erhalten? Sobald es ans eigene Portemonnaie geht, wird man sensibler. Solange man jedoch Forderungen stellen kann, ohne zu wissen, wie hoch die Kosten sind und wer dafür aufkommt, ist eine sachliche Diskussion schwierig. Kostentransparenz im Service-public-Bereich ist daher zentral. Bei der Post haben wir diese beispielsweise nicht. Wir wissen nicht, was uns das dichte Poststellennetz jährlich kostet.

Welche Veränderungen haben sich diesbezüglich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ergeben?
Seit der Gründung von Post und Telecom vor zirka 20 Jahren haben sich diese Sektoren stark verändert. Damals kamen E-Mails und Mobiltelefonie gerade in der breiten Masse an. Seither hat sich das Briefvolumen halbiert, der Zahlungsverkehr in den Postfilialen ist um zwei Drittel zurückgegangen, telefoniert wird mobil oder via Internet. Der Telekommunikationsmarkt ist vollständig liberalisiert, der Postmarkt steht kurz davor. Die Ausgangslage ist heute also eine komplett andere, dennoch tut sich die Politik schwer, auf die Veränderungen zu reagieren und die Rahmenbedingungen anzupassen. Als sich die Post von Postkutschen verabschiedet hat, mussten die Pferdeställe durch Garagen ersetzt werden. Heute werden Briefpost und Zahlungsverkehr durch digitale Alternativen abgelöst, dieser Wandel muss sich auf den Service-Public-Auftrag und die Infrastruktur auswirken, alles andere wäre unlogisch. 

Denken Sie, die Diskussion um die Poststelle Triesen wäre gleich verlaufen, wenn die Gemeinde den Steuerzuschlag hätte erhöhen müssen, um die Poststelle zu erhalten? Sobald es ans eigene Portemonnaie geht, wird man sensibler.

Doris Quaderer, Projektleiterin Stuftung Zukunft.li

Wie beurteilen sie die Situation in Liechtenstein?
Die Politik macht es sich diesbezüglich einfach: Sie verlangt von den öffentlichen Unternehmen, dass sie einen qualitativ hochstehenden Service public erbringen, dies möglichst nachhaltig, sozial und rentabel, sodass dem Staat eine Dividende ausgeschüttet werden kann. Wenn jedoch das Kerngeschäft schrumpft – so wie bei der Post und bei der Telecom –, dann sind diese Unternehmen gezwungen, Dienstleistungen auch ausserhalb ihres Service-Public-Auftrags anzubieten, um den Anspruch der Politik zu erfüllen. Wenn staatliche Akteure allerdings in privatwirtschaftlichen Märkten tätig sind, dann verzerrt das einerseits den Wettbewerb, andererseits steigt das unternehmerische Risiko. Entsprechende Erfahrungen haben wir ja gerade bei Post und Telecom bereits gemacht, da kam es aufgrund gescheiterter Akquisitionen zu hohen Verlusten. Daraus sollten wir lernen. 

Wie bewerten Sie die Liechtensteiner Lösung mit staatsnahen Betrieben, die für ÖV, Stromversorgung oder Internetverbindungen sorgen?
Der ÖV ist aus unserer Sicht gut gelöst. Die LIEmobil ist schlank aufgestellt und lediglich für Ausschreibung, Fahrpläne und Marketing zuständig. Die eigentliche Transportdienstleistung wird alle zehn Jahre ausgeschrieben und an private Unternehmen vergeben. Die Kosten sind transparent und werden vom Landtag beschlossen. Wenn jemand der Meinung ist, die Kosten für den ÖV seien zu hoch, dann besteht die Möglichkeit, das Referendum zu ergreifen. 

Bei den Energieversorgern ist es sicher sinnvoll, dass das Netz in staatlicher Hand ist, denn dabei handelt es sich um eine systemrelevante Infrastruktur. Dasselbe gilt für das Glasfasernetz. Dadurch, dass die Netzbetreiber allen Anbietern zu regulierten Preisen Zugang zum Netz gewähren müssen, sind die Voraussetzungen für Wettbewerb grundsätzlich gegeben. Wir sind aber der Meinung, dass sich die öffentlichen Unternehmen auf die Kernaufgaben fokussieren sollten. Dass beispielsweise die LKW Fotovoltaikanlagen auf Hausdächern montieren und der Staat damit faktisch private Anbieter konkurrenziert, ist aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt.

Das Öffentliche-Unternehmen-Steuerungsgesetz klingt vom Titel her ähnlich kompliziert wie für den Laien von seinem Inhalt. Dennoch klingt die Lösung mit schlankem Rahmengesetz und Spezialgesetzen, die vor rund zehn Jahren getroffen wurde, einleuchtend. Wie beurteilen Sie die Liechtensteiner Corporate Governance?
2009 hat Liechtenstein die Coroporate-Governance-Bestimmungen auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Dieser Schritt war notwendig und fortschrittlich. Er hat dazu geführt, dass heute klare Zuständigkeiten sowohl auf politischer als auch auf Unternehmensebene herrschen. Die öffentlichen Unternehmen verfügen über die nötige Autonomie, dennoch kann der Landtag über die entsprechenden Spezialgesetze und die Regierung via Eigner- oder Beteiligungsstrategie und den Coprorate-Governnance-Code die Leitplanken setzen. 

Wie stellt sich die Liechtensteiner Lösung im internationalen Vergleich dar? Welche Modelle könnten zielführender sein?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir einen für die Schweizer Bundesverwaltung entwickelten Beurteilungsbogen herangezogen, der sich an den OECD-Empfehlungen orientiert. Wir haben festgestellt, dass die liechtensteinischen Corporate-Governance-Regelungen für Klarheit und Transparenz gesorgt haben und Liechtenstein vergleichsweise gut dasteht. Dennoch kommt das Thema im Landtag öfter zur Sprache, gewisse Abgeordnete hätten gerne direkteren Einfluss. Das wäre jedoch aus unserer Sicht nicht zielführend. Der Landtag kann ja bereits heute via Spezialgesetze die Leitplanken vorgeben.  

Bleiben wir noch beim Internationalen: Welchen Einfluss hat die Globalisierung oder zumindest die Internationalisierung auf den Service public in Liechtenstein, das nicht genug eigene Energie produziert, einen kaum nennenswerten Telekommunikationsmarkt aufweist …?
Gerade im Energiebereich sind wir natürlich stark von der internationalen Entwicklung abhängig. Liechtenstein hat sich zu den internationalen Klimazielen bekannt und das hat Auswirkungen auf die öffentlichen Unternehmen in diesem Bereich. Einerseits wird es künftig anspruchsvoller werden, eine lückenlose Energieversorgung sicherzustellen, die LKW sind gefordert, den Eigenversorgungsgrad zu erhöhen. Das Potenzial an Solarenergie ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Andererseits muss im Gassektor ein massives Umdenken stattfinden, wenn wir – wie von der Regierung beabsichtigt – bis 2050 CO2-neutral werden möchten. Im Gebäudebereich müssen wir von den Gasheizungen wegkommen, denn Erdgas ist ein fossiler Brennstoff, «grüne» Gasalternativen sind teuer und aufwendig in der Produktion. Es gibt unterdessen sinnvollere Heizungsalternativen. Daher gilt es aus unserer Sicht, den Ausbau des Gasnetzes zu stoppen und stattdessen Investitionen in Wärmenetze zu forcieren. 

In welchen Bereichen wäre eine Privatisierung denkbar, in welchen nicht?
Wir empfehlen, die Telecom zu privatisieren. Wir haben in diesem Sektor in Liechtenstein eine einzigartige Struktur. Die Telekommunikationsnetze gehören den LKW, die staatliche Telecom ist heute lediglich noch als Dienstleisterin tätig. Diese vertikale Trennung von Netz und Diensten hat den Wettbewerb befeuert und dazu geführt, dass private Unternehmen die notwendige Angebotspalette abdecken. Die Grundversorgung ist also auch ohne staatliche Telecom sichergestellt. Der Staat hat keinen Rechtfertigungsgrund mehr, aktiv in diesem Markt tätig zu sein und sollte sich deshalb aus unserer Sicht daraus zurückziehen. 

Welche Risiken bergen Privatisierungen von staatlichen Leistungen und wo sind ihre Grenzen?
Voraussetzung für die Privatisierung öffentlicher Unternehmen ist, dass es in dem Bereich einen funktionierenden Wettbewerb gibt. Ein staatliches Monopol durch ein privates zu ersetzen, ist nicht zielführend. Entscheidend sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und die regulatorischen Vorgaben. Weiter ist darauf zu achten, dass die privatisierten Unternehmen nicht mit Vor- oder Nachteilen ins Rennen gehen. 

Die LIEmobil erhält von der Stiftung Zukunft.li gute Kritiken.

Welche Chancen bieten Privatisierungen im Gegenzug?
Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann hat eine Privatisierung Vorteile für beide Seiten. Der Staat gibt das unternehmerische Risiko ab. Das privatisierte Unternehmen steht weniger im öffentlichen Fokus, kann sich freier im Wettbewerb bewegen und sich agiler an die Marktbedürfnisse anpassen.

Was raten Sie der Liechtensteiner Regierung und dem Landtag in der Service public-Frage?
Hinzusehen und regelmässig zu hinterfragen! Digitalisierung, Liberalisierung und die Klimaziele haben die Voraussetzungen für Service public stark verändert. Diesem Umstand gilt es Rechnung zu tragen und zu prüfen, wo und in welcher Form staatliches Handeln nötig ist. Gerade bei Post und Telecom zeichnet es sich ab, dass wir auf grössere Probleme zusteuern, wenn wir weitermachen wie bisher. Dort braucht es nach unserer Ansicht dringend eine Weichenstellung. Und auch die Energieversorger müssen sich neu ausrichten, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. 

In welchen Zeiträumen müsste diesbezüglich gedacht werden?
Es wäre sinnvoll, vor allem die Eignerstrategien und gegebenenfalls auch die Spezialgesetze regemässig zu überprüfen. Die Eignerstrategien enthalten einen Passus, nach dem sie mindestens alle vier Jahre auf Vollständigkeit und Aktualität überprüft werden sollten, was bis anhin aber nicht erkennbar geschieht. 

Wenn sich ein privates Unternehmen nicht weiterentwickelt, dann ist es rasch weg vom Markt. Wenn sich ein öffentliches Unternehmen nicht oder in die falsche Richtung entwickelt, dann wird es teuer für die Steuerzahler. Die Politik hat die Verantwortung, die Leitplanken so zu setzen, dass die notwenige Grundversorgung sichergestellt und finanziert ist, ohne dass die öffentlichen Unternehmen in privatwirtschaftliche Märkte vordringen und entsprechende unternehmerische Risiken eingehen müssen. Im Koalitionsvertrag von VU und FBP steht: «Bezüglich öffentlich-rechtlicher Unternehmen wird der Service public sichergestellt, möglichst ohne damit das private Unternehmertum zu konkurrenzieren.» Das trifft den Nagel auf den Kopf, jetzt muss die Regierung nur noch entsprechend handeln.