Die grösste Auswahl und die Qual der Wahl

Die Landtagswahlen 2021 stehen unmittelbar bevor. Die Parteien haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten mit der Nomination von Kandidaten beschäftigt und für diese sowie für ihre Sache geworben. Die Lie:Zeit gibt ihnen nochmals eine Plattform, um sich zu präsentieren.

Die Briefwahlunterlagen sind Ende dieser Woche bei den Wahlberechtigten eingetroffen. Nun haben sie die Qual der Wahl zwischen so vielen Parteilisten und Persönlichkeiten wie nie zuvor, zwischen Streichungen von Kandidaten und dem Vergeben von Sympathiestimmen für die Gestrichenen und auf den leeren Linien, deren Anzahl je nach Partei und Wahlkreis zwischen einer und zwölf beträgt. Erfahrungsgemäss werden die weitaus meisten Wahlberechtigten von der Möglichkeit der Briefwahl Gebrauch machen, und die Corona-Pandemie dürfte den Anteil der Urnenwähler noch weiter senken. Wer seine zehn Stimmen im Unterland oder seine 15 Stimmen im Oberland aus Tradition oder längerer Unentschlossenheit dennoch an der Urne vergeben möchte, hat dazu am 7. Februar von 10.30 bis 12 Uhr in seiner Wohngemeinde die Gelegenheit. Im Lauf des Nachmittags steigt dann die Spannung. Während die ersten Ergebnisse aus Planken gegen 13 Uhr eintreffen dürften, wird es in den grössten Gemeinden mit den meisten Wahlberechtigten möglicherweise bis in den späten Nachmittag hinein dauern. Mit dem Eintreffen der Resultate aus der letzten Gemeinde steht dann fest, wer das Volk in den folgenden vier Jahren im Landtag vertreten wird – und damit mit relativ grosser Wahrscheinlichkeit, wer das Land zwischen 2021 und 2025 regiert.

«Konstantes Wahlverhalten bei zwei Dritteln der Bevölkerung»

Eine grosse Koalition ist für Wilfried Marxer, Forschungsleiter Politik am Liechtenstein-Institut, das weitaus wahrscheinlichste Szenario für die kommende Legislaturperiode. Er geht daher davon aus, dass sich weder die Politik noch die dominierenden Themen grundlegend ändern werden.

Der Wahlkampf verläuft in diesem Jahr ausserordentlich sanft. Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie Ihres Erachtens?
Wilfried Marxer:
Die Medienberichte sind stark von Pandemie geprägt, daher liegt kein so starker Fokus auf den Wahlen. Auch die US-Wahlen und die jüngsten Vorkommnisse beim Sturm auf das Capitol weisen gegenwärtig sicher eine grössere Dramatik auf als die Landtagswahlen in Liechtenstein, und eine medial wirksame politische Auseinandersetzung zwischen den Parteien findet auch nicht statt. Die Pandemiebekämpfung mit den Veranstaltungsauflagen wirkt zusätzlich hinderlich, da Veranstaltungen wie zum Beispiel Rededuelle zwischen Kandidierenden kaum stattfinden.

Inwiefern könnte es auch daran liegen, dass sich der Politikstil über die Jahre gewandelt hat?
Einerseits ist der Ton vielfach aggressiver geworden. Das würde eigentlich für einen lebendigen und kontroversen Wahlkampf sprechen. Andererseits konzentrieren sich die Parteien im aktuellen Wahlkampf weitgehend auf ihr eigenes Programm und ihre eigenen Kandidatinnen und Kandidaten und versuchen, die ihnen wichtigen Themen auf die politische Agenda zu setzen. So stehen fünf Programme und Kandidatenlisten vor den Wahlen weitgehend nebeneinander, ohne sich allzu sehr auf die anderen zu beziehen. Dadurch verliert der Wahlkampf an Schärfe. Auch kontroverse Debatten auf Radio Liechtenstein, 1FLTV oder im Landeskanal tauchen meiner Beobachtung nach in diesem Jahr weniger stark in den Programmen auf als bei den letzten Wahlen.

Was waren trotz allem die dominierenden Themen des Wahlkampfs und inwiefern könnten sie ausschlaggebend auf den Ausgang der Wahlen sein?
Gegenfrage: Gibt es überhaupt zentrale Wahlkampfthemen? Jede Partei hat ihre eigene Rezeptur. Zum Teil sind es Themen, die auch in der Vergangenheit eine Rolle gespielt haben, etwa Mobilitäts- und Verkehrsfragen bis hin zur S-Bahn, Casinos, staatliche Ausgabenpolitik, Familie und Beruf, Klimawandel und Energie, Digitalisierung, soziale Sicherheit, Gesundheit und viele weitere. Jede Partei versucht natürlich, ihre Hauptthemen in den Vordergrund zu rücken. Unabhängig vom Wahlkampf und von den Wahlprogrammen haben die meisten Wählerinnen und Wähler dennoch wohl relativ gute Vorstellungen davon, was von den einzelnen Parteien aufgrund ihrer Tätigkeit in der Vergangenheit auch in der kommenden Mandatsperiode zu erwarten ist.

Erstmals treten fünf Parteien zur Wahl an. Welche Chancen räumen Sie den drei bisherigen Oppositionsparteien ein?
Wenn sich die DU-Stimmen von 2017 – 18,4 Prozent – gleichmässig auf DU und DpL verteilen, schaffen beide die 8-Prozent-Hürde. Wie sich die Parteispaltung auf die Wahlchancen der beiden Parteien auswirkt, ist aber offen, das werden wir am 7. Februar sehen. Auch zur FL mache ich keine Prognose. Die FL hat aber immerhin die Sperrklausel seit einigen Wahlgängen gemeistert, hat es aber bisher nie über 13 Prozent geschafft. 

Die Geschlechterfrage ist wieder verstärkt in der Politik angekommen. Die haushohe Ablehnung der Initiative HalbeHalbe hat allerdings auch Grenzen angezeigt.

Wilfried Marxer, Politologe am Liechtenstein Institut

Kurz zusammengefasst, setzt die VU im Rennen um den Posten des Regierungschefs auf Vertrauen und Kontinuität, die FBP auf neue Kräfte und noch deutlicher auf Frauenpower. Was ist an Beispielen anderer Länder oder historisch gesehen erfolgversprechender und inwiefern lässt sich dies auf Liechtenstein übertragen?
Da helfen Ländervergleiche wenig, da dies stark auf die jeweils aktuelle Situation ankommt. In Liechtenstein ist bemerkenswert, dass häufig Personen in die Regierung gelangen oder sogar Regierungschef wurden, ohne vorher die sogenannte Ochsentour durch Parteigremien, Lokalpolitik etc. zu durchlaufen. Diesem Modell entspricht die Regierungschef-Kandidatur bei der FBP. Andererseits wurden in der Vergangenheit nicht selten Regierungschef-Stellvertreter die neuen Regierungschefs, wie dies möglicherweise beim Kandidaten der VU der Fall sein wird. Inwieweit «Frauenpower» eine Rolle spielt, lässt sich nicht abschätzen. Die Aktivitäten seit dem schlechten Wahlabschneiden der Frauen bei den Landtagswahlen 2017, das öffentliche Rumoren bei der Abwahl von Regierungsrätin Aurelia Frick, der nicht immer erfolgreiche Versuch aller Parteien, mehr Frauen zu nominieren, weisen darauf hin, dass die Geschlechterfrage wieder verstärkt in der Politik angekommen ist. Die haushohe Ablehnung der Initiative HalbeHalbe hat allerdings auch Grenzen angezeigt.

Landtagswahlen sind in Liechtenstein traditionell noch viel mehr Regierungswahlen. Welche Rolle werden die Teams der beiden bisherigen Koalitionsparteien diesbezüglich in zwei Wochen spielen?
Persönlichkeitsprofile spielen bei den Wahlen tatsächlich eine grosse Rolle, wobei dies nicht nur für das vorgeschlagene Regierungsteam gilt, sondern auch für die Kandidierenden für den Landtag. Mindestens so stark wirken jedoch die traditionellen Parteibindungen. Man kann davon ausgehen, dass rund zwei Drittel der Stimmbevölkerung ein relativ konstantes Wahlverhalten zeigen, also ihre angestammte Partei wählen, meist sogar auch dann, wenn sie den Regierungschefkandidaten der Gegenpartei bevorzugen. Das zeigen jedenfalls Umfragedaten der Vergangenheit. Bei den Parteiungebundenen – und das ist ein tendenziell zunehmender Anteil der Wählerschaft – sind Persönlichkeitsprofile und Programme logischerweise von grösserer Bedeutung.

Welche Themen werden Ihres Erachtens die Politik der kommenden vier Jahre dominieren, und inwiefern spielt der Wahlausgang dabei eine Rolle?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es auch nach den Wahlen vom Februar wieder zu einer Koalition der beiden Grossparteien und zu einer klaren parlamentarischen Mehrheit dieser Parteien kommen. Daher ist auch davon auszugehen, dass sich die Politik nicht grundlegend verändern wird. Die Themen der Vergangenheit werden wohl auch in der Zukunft prägend sein, zumal sie wegen der Corona-Pandemie vorübergehend etwas in den Hintergrund gerückt sind: wirtschaftliche Entwicklung in der Nach-Corona-Zeit, Staatshaushalt, Finanzausgleich Land und Gemeinden, Digitalisierung, Verkehr und Mobilität, Klimaschutz, Ökologisierung der Landwirtschaft, Kirche und Religion, Zukunft des Berggebietes, Casinos, soziale Sicherungssysteme, Förderung von Kunst und Kultur, Sportanlagen, internationale und regionale Beziehungen und vieles weitere.

 


Die Zahlen
75 Personen aus fünf Parteien kandidieren für den Landtag, jeder Dritte wird einen Sitz erlangen. Die Anzahl der stellvertretenden Abgeordneten hängt von der Anzahl der Parteien ab, die den Einzug ins Parlament schaffen und von den Ergebnissen in den beiden Wahlkreisen. 17 amtierende Abgeordnete treten erneut an; ausserdem mit Pio Schurti (DU) und Andrea Matt (FL) zwei ehemalige Volksvertreter sowie mit Peter Frick, Rainer Beck (beide VU) und Ado Vogt (DU)  drei stellvertretende Abgeordnete der Legislaturperiode 2017 bis 2021.
23 Frauen stehen auf den Listen von insgesamt vier Parteien mit ganz unterschiedlicher prozentualer Verteilung zwischen 18,75 bei den Demokraten pro Liechtenstein und 50 Prozent bei der Freien Liste. Lediglich die Unabhängigen treten mit einer reinen Männerliste an. Das Alter der Kandidaten bewegt sich zwischen 30 (Stephan Agnolazza-Hoop, VU, und Franziska Hoop, FBP) und 77 Jahren (Herta Kaufmann, DpL).

Die künftige Regierung
Während zwei Drittel der Landtagskandidaten leer ausgehen oder «nur» stellvertretende Abgeordnete werden, liegen die Chancen der Kandidaten für die Regierungsämter, die nicht direkt zur Wahl stehen, deutlich höher. Von den drei Kandidaten der VU und den dreien der FBP wird lediglich einer oder eine auf ein Amt verzichten müssen – sofern nichts Unvorhergesehenes geschieht. Dafür ist die Frauenquote mit zwei Dritteln ungleich höher als in Bezug auf den Landtag. Lediglich Daniel Risch als Chefkandidat der VU und Manuel Frick für die FBP vertreten das männliche Geschlecht. Eine zumindest von der Anzahl der Sitze her weiblich dominierte Regierung scheint bereits eine klare Sache zu sein. Ein Novum in der Geschichte Liechtensteins. Die Freie Liste hat im Gegensatz zu einigen früheren Wahlen darauf verzichtet, Regierungschef- oder Regierungsratskandidaten zu nominieren.

Die Wahlsieger seit 1945
Seit 1945 ging die FBP aus den Landtagswahlen 14 Mal als mandatsstärkste Partei hervor. Sie stellte seither sechs Regierungschefs, darunter mit Markus Büchel jenen mit der kürzesten Amtszeit von sechseinhalb Monaten und mit Alexander Frick mit 17 Jahren jenen mit der längsten Amtszeit. Acht Wahlen konnte die VU, hervorgegangen aus der Christlich-sozialen Volkspartei und dem Liechtensteiner Heimatdienst, nach 1945 für sich entscheiden. Die Vaterländische Union stellte insgesamt vier Regierungschefs.

Die Mitbewerber früher und heute
Bis 1993 waren stets lediglich die VU bzw. die Volkspartei und die FBP im Landtag vertreten. Andere Parteien gab es aber bereits, bevor die Freie Liste erstmals den Einzug ins Parlament schaffte. In den 1930er Jahren entstanden mehrere politische Bewegungen, die teilweise Parteiencharakter annahmen. Der 1933 gegründete Heimatdienst war gemäss Historischem Lexikon die bis dahin und bis zur Fusion mit der Volkspartei bedeutendste Alternative zu den beiden etablierten Parteien. Die nationalsozialistische Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein bestand von 1938 bis 1945, konnte aber wegen der «stillen Wahl» 1939 und dem Aussetzen des Wahlgangs 1943 nie an Landtagswahlen teilnehmen. Erst 1953 trat mit der Liste der Unselbständig Erwerbenden und Kleinbauern eine dritte Partei zu den Landtagswahlen an. Sie scheiterte jedoch klar an der damaligen Sperrklausel von 18 Prozent. Die Christlich-soziale Partei kandidierte zwischen 1962 und 1974 viermal ohne Erfolg für den Landtag. Die 1985 im Zuge der sozialen und ökologischen Bewegung gegründete Freie Liste schaffte im dritten Anlauf 1993 den Einzug in den Landtag. Die 1989 als vierte Partei antretende Überparteiliche Liste scheiterte deutlich. Mit den Unabhängigen erlangte 2013 erstmals eine vierte Partei Landtagsmandate und wurde aus dem Stand mit deren vier drittstärkste Kraft. Seit der Abspaltung der DpL von den Unabhängigen sind fünf Parteien im Landtag vertreten und erstmals treten ebenso viele zu den Wahlen an.

Die obersten Volksvertreter
Der Landtagspräsident steht dem Parlament vor, ist damit oberster Volksvertreter, beruft die Sitzungen während des Jahres ein, leitet sie und vertritt den Landtag nach aussen. Seit Inkrafttreten der Verfassung von 1921 wurde das Amt insgesamt 22 Mal besetzt. Allerdings nur von 17 Personen. David Strub (FBP) war dreimal Landtagspräsident, Alois Ritter, Karlheinz Ritter und Paul Kindle (alle VU) jeweils zweimal. Die längste Amtszeit als Landtagpräsident mit insgesamt 18 Jahren hatte Karlheinz Ritter.


Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige
Anzeige