«Jeder Tag kann ein neuer Schöpfungstag sein»

Loretta Federspiel hat in ihrem Leben immer wieder Momente erlebt, in denen sie spürte, dass es Zeit für eine Veränderung ist. Daneben gibt es aber auch einige Konstanten: den Schuldienst, das Erzählen, den Einsatz für Dinge, die ihr wichtig sind, und natürlich die Beziehung zur Familie.

Seit zwei Jahren wohnt Loretta Federspiel wieder in Mauren, ihrer Heimatgemeinde, in der sie aufgewachsen ist. Dazwischen hat sie für sich die grosse Welt der Kultur entdeckt, in zwei Städten gelebt und 15 Jahre in einem 200-Seelen-Dorf in Frankreich an der Grenze zum Kanton Jura verbracht. «Es scheinen Zufälle gewesen zu sein, welche die Veränderungen in mein Leben gebracht haben», sagt sie, während sie aus dem Fenster in ihren Kräutergarten blickt und sich auf ihrem Tisch Bücher und Artikel zum Thema Corona-
virus stapeln.

Der Teufel und der Beelzebub
Das Thema Corona ist es auch, das sie momentan am meisten beschäftigt. Sie, die ihr ganzes Leben mit Kindern gearbeitet und sie mit ihren Märchen erfreut hat, engagiert sich gegen die Maskenpflicht, die inzwischen teilweise auch Kindern unter zwölf Jahren auferlegt wird. «Ich kann so etwas nicht verstehen», sagt sie und verweist auf Studien, die besagen, dass Kinder gesundheitliche Schäden davontragen könnten und dass Stoffe das Virus nicht aufhielten. Die Massnahmen gegen das Virus seien ein «böses Theater» und erscheinen ihr unangemessen. «Man kann nicht den Teufel mit Beelzebub austreiben. Es gibt dringendere Themen in unserer Welt, die unserer Aufmerksamkeit bedürften.»

Loretta Federspiel sagt, sie könne schlimmstenfalls nachvollziehen, wie die Politik im März auf das Aufkommen des Virus reagiert hat. Inzwischen müssten die Regierungsmitglieder jedoch eingestehen, dass sie damals aufgrund ihrer Informationen zu restriktiv für Familien und alte Menschen gehandelt hätten. Aber all das passe zu «unserer generell lieblosen Zeit, in der Leute mit anderen Überzeugungen aus Angst vor Arbeitsverlust schweigen müssen». Loretta Frderspiel fährt fort: «Sehr glücklich bin ich jedoch über die grossen Demonstrationen in den deutschen Städten, von denen man in unseren Zeitungen wenig bis nichts liest. Nicht einmal von der Rede von Robert Kennedy, dem Neffen des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, in Berlin wurde berichtet. Von diesen Demonstrationen geht die Botschaft von Frieden, Liebe und Freiheit aus und nicht jene von Krankheit, Panik und Tod wie in den Medien.»

Erste Publikation in der NZZ
Aufgrund ihrer guten Noten und weil Loretta Federspiel sich immer freute, wenn sie nach der Schule mit ihrer Lehrerin Hefte korrigieren durfte, motivierte sie diese, die Ordensschwester Benigna Schurtenberger, ebenfalls Lehrerin zu werden. «Meine Mutter setzte sich dafür ein, dass ich das Lehrerinnenseminar Menzingen besuchen durfte. Trotz des grossen Heimwehs hatte ich dort fünf sehr gute Jahre bis zum Abschluss.» Daraufhin hat Loretta Federspiel fast ihr ganzes weiteres Leben lang unterrichtet, in den ersten Jahren noch als «Fräulein Kieber». Für eine weitere Ausbildung zog sie nach Basel an die Kunstgewerbeschule und konnte sich zur Heilpädagogin weiterbilden. 

«In dieser Stadt ist mir die Welt aufgegangen und ein Bewusstsein für Politik», sagt Loretta Federspiel. «Es war die Zeit der Studentenrevolten und Sit-ins, und man demonstrierte gegen den Krieg in Vietnam mit dem Aufruf: ‹Make love not war!› Auf offenen Plätzen wurde die Musik des Woodstock-Festivals für Frieden und Liebe übertragen. Ich lernte ganz neue Musik kennen. Damals verweigerten erstmals junge Männer den Militärdienst, ich war mit einigen befreundet und erlebte deswegen Spitzelei und Polizeigewalt. Man kämpfte auch für die Ablösung des Jura vom Kanton Bern. In der Erinnerung war die Idee von Freiheit und Befreiung von alten Werten allgegenwärtig. Ziemlich viel für ein Landei wie mich.»

Loretta besuchte Galerien, lernte Maler, Bildhauer und Theaterleute kennen und auch ihren späteren Ehemann Jürg Federspiel, und sie wurde Mutter. «Wenn ich den Mund aufmachte, war man erstaunt über meinen Dialekt und ich wurde gefragt, ob Liechtenstein zur Schweiz gehöre, ob es von einem König regiert würde und welche Währung es habe. Eigentlich wusste ich wenig Genaues von meinem Heimatland. Man war irgendwie nur stolz darauf, Unter- oder Oberländer zu sein und einen Fürsten zu haben. In einem Gedicht von Jürg Federspiel heisst es: ‹Hinterlasse ein Zeichen!› und er forderte mich auf, ich solle Liechtenstein zu meinem Thema machen und mich darin vertiefen. So setzte ich mich dahinter, bekam auch viel Hilfe und schrieb schliesslich eine grosse Reportage über Liechtenstein für die NZZ. Von da an traute ich mich, zu schreiben und zu veröffentlichen.»

Ich bin sehr glücklich über die grossen Demonstrationen in den deutschen Städten, von denen man in unseren Zeitungen wenig bis nichts liest. Von diesen Demonstrationen geht die Botschaft von Frieden, Liebe und Freiheit aus und nicht jene von Krankheit, Panik und Tod wie in den Medien.

Loretta Federspiel, zur Corona-Thematik

Beim «Es war einmal …» waren alle still
Den bedeutendsten Abschnitt ihres Lebens verbrachte Loretta Federspiel in Zürich, wo die Familie ihres Sohnes lebt. Dort wurde er gross und das Enkelkind kam in der eigenen Wohnung zur Welt. Sie arbeitete bis zur Pensionierung in Zürich, wo die emotionalen Höhepunkte ihres Lebens stattfanden. Trotz der räumlichen Distanz brachen auch die Beziehungen zu ihrer Familie in Mauren nie ab. «Dort hörten die kleinen Nichten und Neffen sich Märchenkassetten im St. Galler Dialekt an und ich fragte mich, ob es solche nicht auch in Liechtensteiner Mundart geben sollte.» Zusammen mit Astrid Marxer wurden dann elf Kassetten mit Erzählerinnen im jeweiligen Dialekt jedes Liechtensteiner Dorfes produziert. 

Die Leidenschaft für das Weitergeben von Märchen ist geblieben. «Ich habe mich im Erzählen weitergebildet und in Zürich viele Märchenabende mit Kindern und Erwachsenen durchgeführt. Es ist eine schöne Erfahrung, wenn es nach dem ‹Es war einmal…› still wird im Publikum.» Später übersetzte Loretta Federspiel auch Sagen aus dem Hochdeutschen in den Maurer Dialekt und ging eine Zeitlang mit einer Musikgruppe auf Tour, deren Konzerte mit mittelalterlichen Instrumenten sie mit ihren erzählten Sagen begleitete.

Aus einem Ausflug wurden 15 Jahre
Die nächste Station in Loretta Federspiels Leben war Frankreich. Es begann mit einem Ausflug und sollte nach der Pensionierung 15 Jahre andauern. «Mein Sohn hat ein winziges Inserat entdeckt, das für ein ‹Traumhaus› in Frankreich warb. Ich fühlte mich jedoch in Zürich wohl.» Ein anderes Objekt anstatt des sogenannten Traumhauses in einem kleinen Dorf war dann Liebe auf den ersten Blick. Sie konnte das Haus mit den neun Zimmern und den anderthalb Hektaren Umschwung mit Wald und Wiesen erwerben. «Die Bewohner des Dorfes kamen mir vor wie alte Bekannte. Die Geschichten einer im Erzählen besonders begabten Frau schrieb ich auf und würde sie gerne als Buch herausgeben. Auch mit der Familie, die oft zu Besuch war, und den Tieren erlebte ich unvergessliche Momente.»

Nach und nach starben die engen Freunde und Nachbarn «und auch ich wurde alt. Irgendwann war der Moment gekommen, an dem ich beschloss, wenn möglich nach Mauren zurückzukehren», sagt Loretta Federspiel. Heute ist sie glücklich, ein Haus ganz in der Nähe ihres Elternhauses und des Riets gefunden zu haben. Was ihr von Frankreich geblieben ist, sind neben den Erinnerungen und den aufgezeichneten Geschichten vor allem Erkenntnisse. «Ich habe mich im französischen Dorf mit der Kultur des alten Ägypten beschäftigt und alles gelesen, was ich finden konnte. Ich durfte auch beim Seniorenkolleg einen Vortrag zu diesem Thema halten. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, dass das Christentum seine Wurzeln vor allem in der allgegenwärtigen Religiosität der altägyptischen Kultur hat und von dort die christlichen Mysterien und die meisten religiösen Bräuche ausgehen. Ein Motto gerade für die heutige Zeit ist mir die altägyptische Überzeugung, dass die Welt immer wieder neu und so vollkommen werden kann, wie sie bei der Schöpfung am Anbeginn war. Jeder Tag kann ein neuer Schöpfungstag sein, doch das erfordert unsere Mitarbeit.»