Arbeitszeitmodelle im Wandel

Homeoffice in Zeiten der Corona-Pandemie.

Homeoffice ist zurzeit im Trend. Verschiedenste Medien greifen das Thema vertieft auf und es ist spürbar, wie dieses Modell in die Arbeitswelt eingreift.

Beschäftigt man sich näher mit der Thematik der Arbeitszeitmodelle, muss man in der Zeit zurück gehen – nämlich an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Entwicklung von Arbeitszeitmodellen, wie wir sie heute kennen, ist sehr interessant und wir können daraus zahlreiche Schlüsse auf das Homeoffice sowie dessen Wirkung auf die heutige Arbeitswelt ziehen, die bis anhin zuwenig in Betracht gezogen wurden. 

Wichtig bei der Analyse von Arbeitszeit ist immer das Menschenbild: Wird der Mensch als Produktionsfaktor oder als Humankapital (heute auch: Human Ressource) angesehen? 

Der «Taylorismus», welcher zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem in Industrieunternehmen, umgesetzt wurde, wird heute sehr kritisch betrachtet. Die Hauptkritik wendet sich primär an eine exakte Fixierung des Leistungsortes- und des Leistungszeitpunktes, starre und detaillierte Arbeitsaufgaben, reine Einwegkommunikation und starke Kontrollen der Arbeitnehmenden – z. B. mittels Stoppuhren. Eine flexible Aufgabenerfüllung wurde durch die starren Vorgaben behindert, Leistungsanreize durch Prämienlöhne wie Zeit- oder Stückakkord gesetzt. 

Jedoch erwies sich der Faktor Lohn als weniger wirksam als erwartet. So wurden in den 1930er-Jahren die «Human Relations», ein Begriff für die informellen Beziehungen zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften in einem Unternehmen, für die Organisationspraxis entdeckt. Diese zielten vor allem auf Beeinflussung der sozialen Antriebsfaktoren der Arbeitsleistung ab. Mitarbeiterführung wurde zu einer der wichtigsten Aufgaben des Managements. Dazu gehörten Funktion, Planung, Organisation, Motivation und Kontrolle der Arbeit. Der Führungsstil gewann auch in wissenschaftlicher Sicht immer mehr an Bedeutung in Bezug auf die Arbeitsleistung der Arbeiter und deren Einstellung zur Arbeit. Basis der Human Relations-Bewegung war eine Untersuchung in den 20er-Jahren in den Hawthorne-Werken (Chicago, USA). Gegenstand der Feldexperimente bildete zunächst der Einfluss von Faktoren wie Pausen, Arbeitszeit und Beleuchtung auf die Arbeitsleistung. In einer weiteren Phase wurden die Mitarbeiter befragt, sie durften ihre Meinung sagen, Teil von Problemlösungsprozessen sein – dadurch fühlten sie sich anerkannt. Das Gefühl des Teilhabens am Betrieb und am Lösen von innerbetrieblichen Problemen erwies sich als leistungssteigernd. Eine weitere Untersuchung in Kleingruppen ergab, dass sich informelle Gruppen bildeten und diese einen hohen Grad an Zusammenhalt erreichten, wenn sich Vorgesetzte aktiv aus den Arbeitsprozessen heraushielten. Die Untersuchungen zeigten eine Leistungssteigerung der Arbeitskraft durch erhöhte soziale Aufmerksamkeit. Wer ins Unternehmen eingebunden wird, reagiert mit höherer Motivation bzw. mehr Leistung. Auch seine Bindung an das Unternehmen steigt. Ausserdem wurde die Wirksamkeit der informellen Gruppen entdeckt, die oft wichtiger sind als die Arbeitsbedingungen. 

Eine Weiterentwicklung der Human Relations-Bewegung war der motivationstheoretische Ansatz. Abraham Maslow forschte hierzu von 1934 bis 1943. Diese Forschungsergebnisse wurden 1954 durch Douglas McGregor auf die Arbeitsmotivation übertragen – die Motivationspyramide nach Maslow war entstanden. Arbeitsmotivation ist das, was uns zur Arbeit «antreibt». Dass dies nicht nur die reine Entlohnung im monetären Sinn ist, zeigten bereits die Studien aus den 30er-Jahren. Arbeitsmotivation ist viel mehr – es ist ein Mix aus Lohn, sozialen Kontakten, Lob und Mitbestimmung sowie Selbstverwirklichung. 

Zeiteinteilung als Komponente der Selbstverwirklichung
Sehen wir uns die Selbstverwirklichung an, so ist die freie Zeiteinteilung eine bedeutende Komponente davon. Jeder Mensch hat einen eigenen Rhythmus. Kann sich ein Arbeitszeitmodell den unterschiedlichen Rhythmen anpassen, steigt die Motivation und Leistungsbereitschaft. Daraus sind Gleitzeitmodelle entstanden. Sie kommen dem Bedürfnis, sich die Arbeitszeit selbst einzuteilen, recht nahe. Ein weiterer Schritt in diese Richtung ist die Vertrauensarbeitszeit. Dabei werden gleich mehrere Bedürfnisse abgedeckt: einerseits die freie Einteilung der Zeit und andererseits auch das Vertrauen des Arbeitgebers in den Mitarbeiter. Natürlich müssen bei jedem Arbeitszeitmodell aber auch immer die gesetzlichen Rahmenbedingungen (Arbeitgeber muss die Arbeitszeit des Arbeitnehmers kontrollieren) erfüllt sein – das ist bei der Vertrauensarbeitszeit eine Herausforderung. Modelle für Teilzeitarbeit, wie klassische Teilzeitarbeit oder Jobsharing, sollen das Bedürfnis nach einem gesicherten Grundeinkommen decken, aber auch die Möglichkeit schaffen, sich um die Familie zu kümmern oder ganz einfach das Bedürfnis nach mehr Freizeit zu befriedigen.  

Die Bedürfnisse sind somit ein Faktor, aus welchem sich unterschiedliche Arbeitszeitmodelle entwickelt haben. Letztlich hat es sich historisch gezeigt, dass eine höhere Motivation am Arbeitsplatz eine erhöhte Leistungsbereitschaft und somit mehr Performance mit sich bringt.  

Daniela Ospelt beschreibt die Entwicklung des Homeoffices und stellt
Vor- und Nachteile einander gegenüber.

Homeoffice-Modell kann einige Bedürfnisse gut abdecken
Sehen wir uns nun das Home-office-Modell an, erkennen wir, dass dieses Modell einige der Bedürfnisse gut abdecken kann, darunter die Zeiteinteilung, die Möglichkeit zu Hause zu sein und die Selbstverwirklichung. Nachteilig ist, dass die sozialen (direkten) Kontakte fehlen und dass ein direktes Lob oder auch die Mitbestimmung in der Organisation wegfallen. 

Gemäss einer Studie in der Schweiz (statista.com) vom Juni 2020 haben zu dieser Zeit in gewissen Branchen über 60 Prozent der Angestellten ganz oder teilweise im Homeoffice gearbeitet. Bestimmte Branchen, z. B. der Sicherheitsbereich, können nur über die Präsenz abgedeckt werden, dort arbeiten naturgemäss nur wenige im Homeoffice. Einem SRF-Interview mit dem Psychologen Martin Kleinmann von der Uni Zürich zufolge sind die Mitarbeiter im Homeoffice zwar zufrieden, aber deutlich unzufriedener als vor Corona. Zu Beginn bot Homeoffice eine Abwechslung, man konnte die genannten Bedürfnisse in hohem Grad abdecken – aber irgendwann wurde es zu viel und eine Abgrenzung von Beruf und Privat konnte nicht mehr stattfinden. Der Weg zur Arbeit kann zudem ein Faktor sein: Viele Pendler empfinden den Arbeitsweg als Distanzmacher von Privat zur Arbeit und zurück – eine Art Puffer, um eine eindeutige und physische Distanz zu schaffen. Dies fehlt im Homeoffice gänzlich, gerade wenn ein separates Büro nicht vorhanden ist oder sich noch weitere Familienmitglieder im selben Haushalt befinden. 

Vor-und Nachteile des Home-office-Modells
Eindeutig als Vorteil wird die Flexibilität im Homeoffice bewertet: Die Einteilung der Zeit, die Möglichkeit sich um Familie und Haushalt zu kümmern, der Selbstverwirklichung nachzugehen – das alles sind Faktoren, die für dieses Modell sprechen. Nachteilig hingegen ist der fehlende Kontakt zu Kollegen und Vorgesetzten. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Historie der Arbeitsmotivation: Die Zusammenarbeit mit Kollegen und das Entstehen von informellen Gruppen fehlen beim Homeoffice. Auch fällt die Eingliederung in die Organisation und somit ein Teil der Mitbestimmung weg. Was bereits vor über 100 Jahren erforscht wurde, kann heute ein Faktor sein, weshalb Homeoffice nicht flächendeckend erfolgreich ist – neben der Tatsache, dass es auch Bereiche gibt, in welchen die Anwesenheit zwingend notwendig ist. Es wird sich wahrscheinlich eine Mischform entwickeln. Konferenzen können virtuell stattfinden, ein gewisser Teil der Arbeit kann von zu Hause aus erledigt werden – aber eben nicht alles. Eine Mischform käme sicher auch dem Bedürfnis nach Flexibilität und Selbstbestimmung entgegen. 

Eine weitere Hürde ergibt sich beim Homeoffice-Modell aber auch in Bezug auf die Unterstellung der Sozialversicherungen. Ein Mitarbeiter wird normalerweise dort sozialversicherungspflichtig, wo er seine Arbeit verrichtet. Wo ist dies nun im Homeoffice? Der Arbeitsvertrag lautet auf den Sitz der Firma – die Arbeit wird jedoch, gerade bei Pendlern, von zu Hause aus erledigt. Dieser Frage muss in Zukunft intensiv nachgegangen werden und die Broschüre «Fokus Homeoffice» der Stiftung Zukunft.li enthält dazu interessante Ansatzpunkte und Ausführungen. 

Auch arbeitsrechtlich lässt Homeoffice einige Fragen offen: Wie kann ein Arbeitgeber kontrollieren, ob ein Mitarbeiter nicht nachts oder sonntags arbeitet – und somit gegen das Arbeitsgesetz verstösst? Die Verantwortung dafür liegt beim Arbeitgeber – also entstehen auch diesbezüglich Fragen, die zu klären sind.   

Homeoffice – eine Chance für den Arbeitsmarkt und vor allem für eine Zeit wie die Corona-Krise, ganz klar. Es müssen somit im Einzelfall die Vor- und Nachteile abgewogen und offene Fragen geklärt werden, um das Modell als Chance zu begreifen.