Als Aussenministerin betrachtet es Regierungsrätin Katrin Eggenberger als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, Liechtensteins Stimme Gehör zu verschaffen. Nicht zuletzt dank der Mitgliedschaft in EWR und UNO bieten sich dazu regelmässig gute Gelegenheiten. Aber auch die Aussenpolitik musste sich in Zeiten von Corona an neue Gegebenheiten gewöhnen und neue Aufgaben bewältigen.
Frau Aussenministerin, die Corona-Pandemie hat seit März fast das gesamte öffentliche Interesse beansprucht. Was waren in dieser Krise die aussenpolitischen Herausforderungen und wie konnte Liechtenstein sie bewältigen?
Regierungsrätin Katrin Eggenberger: Zu Beginn der Krise haben wir an alle Reisenden appelliert, so schnell wie möglich nach Liechtenstein zurückzukehren. Die grösste Herausforderung lag darin, über 80 im Ausland gestrandete Personen in der ganzen Welt dabei zu unterstützen, ihre Rückreise nach Liechtenstein anzutreten. Das war in gewissen Regionen nicht einfach, ist aber schliesslich gelungen – nicht zuletzt dank der unkomplizierten und pragmatischen Zusammenarbeit vor allem mit der Schweiz, aber auch mit Österreich und Deutschland. Liechtenstein war ausserdem gemeinsam mit der Schweiz, Norwegen, Indonesien, Singapur und Ghana federführend in der Initiierung der ersten UNO-Resolution zu COVID-19, die von 188 Mitgliedsstaaten mitunterzeichnet worden ist – eine bemerkenswerte Zahl. Ziel der Resolution ist es, die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Virus zu stärken und die zentrale Rolle der UNO bei der Krisenbewältigung zu untermauern. Ich bin überzeugt, dass die aktuelle Krise ein Anlass sein muss, um die internationale Zusammenarbeit weiter zu verstärken.
Sie waren erst seit wenigen Monaten im Amt, als sich das Virus zur Pandemie entwickelte. Die ersten 100 Tage im Amt waren für Sie gerade vorbei. Wie haben Sie diese Zeit gleich nach der vielbeschworenen politischen Schonfrist erlebt?
Die von Ihnen angesprochene politische Schonfrist von 100 Tagen habe ich wohl verpasst – zumindest habe ich nichts davon gemerkt. Das liegt in der Natur der Sache, schliesslich bin ich erst im letzten Drittel der Legislaturperiode eingestiegen. Es galt von Anfang an, laufende Projekte weiterzuverfolgen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen sowie Neues und allenfalls auch Aufgeschobenes wie zum Beispiel das Projekt um den Burghügel Gutenberg anzupacken und weiterzuentwickeln. Die Corona-Krise hat zusätzliche Herausforderungen in allen drei Bereichen meines Ministeriums mit sich gebracht. Die reduzierte Reisetätigkeit brachte aber auch den Vorteil, dass ich mehr Zeit für die anfallenden Herausforderungen im Land hatte.
Im Hintergrund ging die aussenpolitische Arbeit sicher auch während der Corona-
Massnahmen dennoch weiter. Wie hat sich die Arbeit als Aussenministerin, die für gewöhnlich ja auch von zahlreichen persönlichen Treffen geprägt ist, verändert?
Wie Sie es richtig sagen, sind bilaterale Besuche und internationale Ministertreffen ein essenzieller Bestandteil meiner Arbeit als Aussenministerin. COVID-19 hat sich vor allem dahingehend auf meine Arbeit ausgewirkt, dass zahlreiche Reisen und Besuche abgesagt werden mussten. Aber Aussenpolitik besteht nicht nur aus Konferenzen und Treffen – im Hintergrund ist die inhaltliche Arbeit weitergegangen. Es war zudem eindrücklich zu erleben, wie stark moderne technische Möglichkeiten die Kommunikation vereinfachen. Ich habe mich mit meinen Amtskollegen aus Norwegen, Österreich, Deutschland, Luxemburg, der Ukraine und der Schweiz elektronisch ausgetauscht. Ausserdem brachte ich Liechtensteins Sicht an Videokonferenzen mit den deutschsprachigen Aussen- und Justizministern ein. Auch der EWR-Rat und das EFTA-Ministertreffen fanden zum ersten Mal in der Geschichte auf diesem digitalen Weg statt.
Liechtenstein bewährt sich seit 300 Jahren unter nicht immer einfachen Bedingungen, bietet ebenso landschaftliche Schönheit wie eine prosperierende Wirtschaft und lebt eine sehr gut funktionierende Demokratie – diese Tatsachen kann man gar nicht oft genug nach aussen tragen und stolz darauf sein.
Katrin Eggenberger, Aussenministerin
Eine oft gehörte Forderung war, dass die Politik nun endlich die Grenzen wieder öffnen müsse. Welchen Beitrag konnten Sie als Aussenministerin dazu leisten und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit gerade mit den deutschsprachigen Partnerstaaten?
Obwohl Grenzübertritte nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fallen, wurde dieses Thema in den vergangenen Wochen mehrfach aufgegriffen. Dabei habe ich stets betont, dass Liechtenstein als Kleinstaat auf offene Grenzen angewiesen ist. Wir verstehen uns als Teil einer Region mit einem freien Verkehr von Waren und Personen. Die Kanäle zu unseren Partnern waren immer offen und unseren Anliegen und Fragen konnten stets Gehör verschafft werden.
Die Schweiz und Österreich als direkte Nachbarn, aber auch Deutschland sind wohl die wichtigsten Partner Liechtensteins. Wie intensiv ist die diesbezügliche Zusammenarbeit auf aussenpolitischer Ebene im Allgemeinen und wie gestaltet sie sich?
Diese Zusammenarbeit ist traditionell sehr eng und gut. Vor allem die Treffen deutschsprachiger Minister sind für uns eine erfolgreiche Plattform, um gemeinsame Herausforderungen und die Zusammenarbeit zu diskutieren. Auch bilateral bin ich mit meinen Amtskollegen aus allen drei Ländern in regelmässigem Kontakt, denn viele davon kannte ich schon durch meine frühere Tätigkeit.
Am 1. Mai 2020 jährte sich die Liechtensteiner EWR-Mitgliedschaft zum 25. Mal. Dieses Jubiläum hätten Sie sicherlich gerne unter anderem Umständen begangen. Was war ursprünglich geplant und wie wurde das Jubiläum stattdessen zelebriert?
Ursprünglich wäre geplant gewesen, dass wir dieses Jubiläum am 12. Mai mit einem Festakt feiern. Es freut mich, dass der Wert der EWR-Mitgliedschaft für Liechtenstein und seinen Wirtschaftsstandort sowohl im Landtag als auch in den Landeszeitungen gebührend gewürdigt wurde.
Vieles ist zum Wert der EWR-Mitgliedschaft für Liechtenstein bereits gesagt und geschrieben worden. Wie fassen Sie diesen Wert kurz zusammen?
Durch den EWR profitiert Liechtenstein von den vier Grundfreiheiten – Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital – in den Beziehungen mit den 29 Mitgliedstaaten. Wir arbeiten auch in anderen Aspekten eng mit der EU zusammen – beispielsweise über Schengen-Dublin und die Beteiligung an Programmen wie Erasmus+. Während liechtensteinische Bürger in ganz Europa leben, arbeiten und studieren können, profitieren Unternehmen vom ungehinderten Zugang zum grössten Binnenmarkt der Welt.
Und was wird Liechtensteins Aussenpolitik in der näheren Zukunft beschäftigen?
Neben der Corona-Krise ist es eine laufende Aufgabe in der Aussenpolitik, die liechtensteinischen Interessen gegenüber anderen Staaten sowie in internationalen Organisationen zu vertreten. Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen: Der Brexit wird uns das ganze Jahr weiter beschäftigen. Nachdem das Austrittsabkommen unter Dach und Fach ist, verfolgen wir gemeinsam mit Norwegen und Island das Ziel, dass unsere Bürger und Unternehmen nach Ende der Übergangsfrist bis Ende des Jahres gegenüber EU-Staaten keine Benachteiligungen erfahren.
Inwiefern gibt es aussenpolitischen Nachholbedarf, nun da die Präventionsmassnahmen langsam gelockert werden, und wie werden das Coronavirus sowie eine allfällige zweite Welle die Aussenpolitik weiterhin in Anspruch nehmen?
Ein gewisser Nachholbedarf ist festzustellen, da viele Termine aus dem ersten Halbjahr nun provisorisch in den Herbst verschoben worden sind. Eine allfällige zweite Welle würde in der Aussenpolitik ähnlichen Handlungsbedarf hervorrufen – sowohl bei der Rückholung von Liechtensteinern im Ausland als auch bei der Abstimmung mit Partnerstaaten.
Im September steht mit der 30-jährigen UNO-Mitgliedschaft das nächste grosse Jubiläum an. Was ist diesbezüglich an Feierlichkeiten geplant?
Wir suchen derzeit nach Wegen, um die Bedeutung der UNO-Mitgliedschaft für Liechtenstein zu verdeutlichen und die Bevölkerung in das Jubiläum einzubeziehen. Geplant ist eine Publikation, ausserdem überlegen wir derzeit, in welchem Rahmen eine mögliche Jubiläumsveranstaltung stattfinden könnte.
Und auch in Bezug auf die UNO-Mitgliedschaft die Frage: Wie beschreiben Sie in Kürze deren Bedeutung für Liechtenstein?
Der Beitritt Liechtensteins zur UNO bedeutete die globale Anerkennung unserer Eigenständigkeit und unseres Willens, uns an der Lösung globaler Herausforderungen aktiv zu beteiligen. Die UNO bietet Liechtenstein eine Bühne für eigene Initiativen, aber auch für die direkte Vernetzung mit anderen Staaten auf der ganzen Welt.
Über diese Themen hinaus: Welche Potenziale wollen sie für Liechtenstein realisieren?
Im meiner recht kurzen Zeit im Amt durfte ich feststellen, dass Liechtenstein mehr Profil, Gewicht und Stimme hat, als wir es in der Innensicht oft denken. Ob im Austausch mit unseren Nachbarländern oder in der UNO: Wir werden gehört und können aktiv an der Gestaltung der Zukunft mitwirken. Diesen Gestaltungsfreiraum für das Wohlergehen unseres Landes wahrzunehmen, begeistert mich jeden Tag von Neuem. Liechtenstein bewährt sich seit 300 Jahren unter nicht immer einfachen Bedingungen, bietet ebenso landschaftliche Schönheit wie eine prosperierende Wirtschaft und lebt eine sehr gut funktionierende Demokratie – diese Tatsachen kann man gar nicht oft genug nach aussen tragen und stolz darauf sein.