«Bei einer Probe konnte ich alles vergessen»

Viele Zufälle waren es, die Anton Gerners berufliche, politische und musikalische Karriere bestimmt haben. Im Nachhinein haben sie sich alle als glückliche Fügungen herausgestellt und auch in der Pension trat er kaum kürzer. Die Corona-Krise sieht der bald 80-Jährige nun aber auch als Chance, das Leben ruhiger angehen zu lassen.

Anton, besser bekannt als Toni, Gerner blickt zurück auf eine eindrückliche berufliche Karriere und er hat die politischen Geschicke Liechtensteins in Landtag und Regierung mitgestaltet. Fast schon nebenbei ist er in den vergangenen 50 Jahren zu einem der prominentesten Vertreter von Liechtensteins Blasmusik geworden. Beinahe wäre aber alles anders gekommen. «In meinem Elternhaus hat niemand musiziert und von Beruf wollte ich eigentlich Bauer werden», sagt Toni Gerner rückblickend. «Mein Vater, selbst Müller und Landwirt, entschied: ‹Das kannst du. Aber erst, wenn du einen anderen Beruf erlernt und abgeschlossen hast.›» Dass er sich gegen den Vorschlag des Berufsberaters entschieden hat und nicht Lehrer wurde, lag dann an Toni Gerners Mitgliedschaft in der Harmoniemusik seiner Heimatgemeinde Eschen. «Ich genoss die Musik und die Kameradschaft sehr und wollte nicht wieder aus dem Verein austreten. Das wäre bei einem Eintritt ins Lehrerseminar aber nötig gewesen.»

In jungen Jahren zum Laborleiter
So kam es, dass Toni Gerner eine Ausbildung zum Laboranten bei der Presta begann. «Ich wusste kaum, was das bedeutet, denn der Chemieunterricht in der Schule war sehr dürftig und Schnupperlehren gab es damals nicht.» Durch Zufall hatte er damit aber einen Beruf gefunden, der ihm lag. Der Lehrmeister empfahl ihm bald, ein Chemiestudium anzuschliessen, was Toni Gerner nach der Lehrabschlussprüfung auch machte. Wieder sah es so aus, als würde ihn sein Weg aus Liechtenstein hinausführen. «Es gab damals kaum Bedarf an Chemikern in unserem Land», sagt Gerner. Aber wieder spielte der Zufall mit und die Hilti AG war dabei, ein Chemielabor aufzubauen, dessen Leitung er übernahm. 22 Jahre blieb der studierte Chemiker daraufhin bei der Hilti AG. «Es war beruflich eine sehr lehrreiche und interessante Zeit. Ich erhielt schon in jungen Jahren viele Kompetenzen, durfte interessante Projekte begleiten und neue Verfahren einführen.»

Musikprobe statt Parteitag
Toni Gerners Weg in die Regierung begann 1978. Zuvor war er aber 1970 mit 29 Jahren als bis dahin jüngster Abgeordneter überhaupt und als Nachfolger seines Vaters Leo für die FBP in den Landtag gewählt worden. Nach zwei Legislaturperioden wollte er sich 1978 dann aber wieder ganz seinem Beruf und der Musik widmen und aus der Politik ausscheiden. Nach der knappen Wahlniederlage seiner Partei kam es jedoch anders. Die FBP suchte nach einem Regierungsrat, der neben Regierungschef-Stellvertreter Walter Kieber Einsitz in die Exekutive nimmt. Toni Gerner wurde angefragt, lehnte ab und wurde wiederum um eine Annahme des Amts gebeten. «Ich habe auch da abgelehnt. Aber die Parteileitung blieb hartnäckig. Meine Ausrede am Tag vor der Nomination war, dass es aus beruflichen Gründen nicht möglich sei. Das führte dazu, dass die Parteileitung Konzernchef Martin Hilti kontaktierte, der die Hinderungsgründe verneinte, womit er meinen Weg in die Regierung frei machte.» 

Dennoch nahm Toni Gerner nicht am Nominationsparteitag teil, sondern ging, wie an jedem Freitag, zur Musikprobe. «Im Lauf der Probe wurde ich hinausgerufen. Parteipräsident Peter Marxer teilte mir am Telefon mit, dass ich soeben nominiert worden sei und sofort kommen müsse. Ich fuhr los, fest entschlossen, meine Nicht-Annahme des Amts zu erklären. Ich wurde aber bereits vor dem Saal erwartet und gebeten, doch anzunehmen. Der Applaus im Saal war sehr gross, als ich eintrat, und da hat mich offenbar der Mut zum Ablehnen verlassen.»

«Ich frage mich, wie ich alles vereinbaren konnte»
Toni Gerner führte daraufhin während acht Jahren die Geschäftsbereiche Gesundheit und Umwelt, wobei das Amt eines Regierungsrats damals noch keine Vollzeitstelle umfasste. «Ich frage mich bis heute manchmal, wie ich meine Aufgaben in der Regierung, meine Arbeit in der Hilti AG und mein Hobby, die Musik, unter einen Hut bringen konnte. Die Politik brachte ja auch viele Abendtermine mit sich. Einzig Dienstreisen hatten wir lange nicht so viele zu bewältigen wie die heutigen Minister. Aber eines ist klar: Um alles zu vereinbaren und alle Aufgaben zu bewältigen, muss man von der Familie vorbehaltlos unterstützt werden, was Gott sei Dank bei mir der Fall war.» Auch ein Arbeitgeber, der mitspielt, eine robuste Gesundheit und Freude bei allen Tätigkeiten seien unerlässlich gewesen. «Selbstverständlich verbrachte ich trotzdem sehr oft einen Teil des Samstags im Betrieb, um meine Aufgaben zu erledigen, und am Sonntag musste meistens ein Teil des Tages für Sitzungsvorbereitungen herhalten.»

In seinen Ressorts war Toni Gerner mit anderen Herausforderungen konfrontiert als die zuständigen Regierungsräte heutzutage. «Das Ressort Gesundheit gab damals nicht so stark zu reden wie gerade in letzter Zeit. Aber auch damals gab es Probleme, die in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden: die Spitalfrage, die Geburtsstation, die Dialysestation, der beliebte Diskussionspunkt Seuchen bei der Budgetberatung und immer wieder die Gesundheitskosten, obwohl diese nur einen kleinen Bruchteil der heutigen Kosten ausmachten. Hinzu kommt, dass das Amt für Gesundheit noch nicht existierte und nebenamtliche Regierungsräte keine eigenen Mitarbeiter hatten.» Auch die Spitalverträge mit den Nachbarländern, die Einführung der Vorsorgeuntersuchungen und die neu aufkommende Immunschwächeerkrankung AIDS sorgten für viel Arbeit. Genau wie die Schaffung eines neuen Gesundheitsgesetzes. «Als ich Walter Kieber den Gedanken vortrug, war seine kurze und klare Antwort: ‹Wenn du politischen Selbstmord begehen willst, dann mach das!›» Die Umsetzung ist Toni Gerner dennoch gelungen und das vorausgesagt Ende der Karriere blieb aus.

Nur eine Leitung und Schulden
So musste der Regierungsrat sich zu Zeiten des Waldsterbens vermehrt dem Bereich Umwelt widmen. «Der Landtag verlangte nach Massnahmen zur Luftreinhaltung. Im Gespräch mit allen Nachbarregierungen wurde nach Lösungen gesucht. So kam es schliesslich nach entsprechenden Studien und Vorbereitungen 1985 zur Gründung der Liechtensteinischen Gasversorgung, der LGV.», sagt Toni Gerner. Die LGV prägte auch seine dritte berufliche Karriere. Denn erneut spielte der Zufall eine Rolle und zum Ende von Toni Gerners Zeit in der Regierung war im Frühjahr 1986 die Stelle des LGV-Geschäftsführers ausgeschrieben. «In meinen letzten Tagen als Regierungsrat, kurz vor Ablauf der Bewerbungsfrist, habe ich mich um die Position beworben.»

Bewerber gab es eine ganze Reihe, einige kamen in die engere Auswahl und der Verwaltungsrat zog einen ausländischen Fachexperten zurate. «Das äusserst ausführliche und tiefgehende Gespräch mit diesem empfand ich als sehr harte Prüfung. Aber er hat mich aus der Bewerbergruppe ausgewählt. Hindernis war nur noch das Gehalt. Ich musste um einiges zurückstecken.» Trotzdem und obwohl die Aufgabe sehr herausfordernd gewesen sei, hat Toni Gerner auch diesen Schritt im Rückblick nicht bereut. «Zunächst war aber ausser einer Hauptleitung von Ruggell bis Balzers und einem Haufen Schulden noch nichts da. Bei der Gründung waren fast alle Abgeordneten sehr euphorisch. Wenige Monate später aber war in jeder Landtagssitzung nur noch die Rede von den hohen Kosten. Vom Umweltschutz und der Minderung der Luftschadstoffe sprach keiner mehr. In den ersten Jahren dachte ich oft: ‹Wieso habe ich den interessanten Job bei Hilti aufgegeben und mir das aufgeladen?› Nach den Anfangsjahren war die Leitung der LGV für mich jedoch eine erfüllende und ebenfalls sehr interessante Aufgabe.»

Musikunterricht nach dem Heuen
Einen Ausgleich zu den Herausforderungen und vielfältigen Aufgaben im Beruf stellte für Toni Gerner stets die Musik dar. Aber auch dazu ist er durch Zufall gekommen. «Während meiner Realschulzeit hörte ich eine ausländische Jugendkapelle. Ich staunte wie Knaben, kaum älter als ich, ein Blasinstrument spielten. Das wollte ich auch können. Das wiederum muss dem Präsidenten unserer Musik zu Ohren gekommen sein. Denn die Harmoniemusik Eschen brauchte dringend Nachwuchs. Schon wenige Tage nach dem Auftritt der Jugendkapelle, am 1. Juli 1955, konnte ich beim Präsidenten ein Tenorhorn abholen. Lehrmeister war, da es noch keine Musikschule gab, mein Nachbar Ludwig. Festen Unterricht hielten wir nicht ab. Wenn er Zeit hatte – etwa nach dem Heuabladen am Abend – hat er gerufen und er zeigte mir das Nötigste», sagt Toni Gerner. Und auch seine erste Uniform war die eines Erwachsenen, von Briefträger Toni Meier, die dem damals 15-Jähirgen alles andere als auf den Leib geschneidert war. «Das störte aber niemanden.»

Seit 1956 ist Toni Gerner nun Mitglied der Harmoniemusik Eschen. 1973 gründeten einige junge Musikanten die Jugendharmonie. «Wenige Monate später 1974 trat der noch sehr junge Dirigent zurück und bat mich, weiterzumachen. Das war nicht so einfach, denn ich hatte überhaupt keine Ausbildung dafür und schon zwei Wochen danach stand das erste Muttertags-Konzert an. Ich holte bei Pepi Frommelt Rat und er brachte mir dann in zwei Unterrichtsstunden das Dirigieren der wichtigsten Taktarten bei.» Daraufhin schloss Toni Gerner eine Ausbildung in Harmonielehre und Orchesterleitung an und fortan war er ein gefragter Dirigent bei der JHE, den Musikvereinen Schellenberg und Gamprin sowie der Hilti-Musik. «Ich merkte bald, dass das Musizieren und Dirigieren neben Berufs- und Regierungstätigkeit ein ganz guter Ausgleich waren. Bei einer Probe nach anstrengenden Tagen konnte ich alles vergessen, es war ein richtiges Abschalten vom Tagesgeschehen. Inzwischen zähle ich, die Leitung der verschiedenen Vereine zusammengezählt, mehr Dirigenten- als Lebensjahre.» Zusätzlich zu seiner musikalischen Tätigkeit war Toni Gerner aber immer auch stark in die Organisation der Musikvereine und des Blasmusikverbandes eingebunden. Entsprechend viele Ehrungen durfte er für seine Tätigkeiten entgegennehmen. Er wurde für seine Verdienste um die Jugend und das Land zum Fürstlichen Rat ernannt, ist Ehrenmitglied in mehreren Vereinen und im Österreichischen Blasmusikverband, Ehrenpräsident des Liechtensteiner Blasmusikverbands und Träger des Verdienstkreuzes des Internationalen Musikbundes CISM.

Vom Unruhe- zum Ruhestand
Seit 15 Jahren ist Toni Gerner nun im beruflichen Ruhestand. «Für Langweilig blieb mir aber keine Zeit. Die Tage in meiner Pension waren bisher ziemlich ausgefüllt mit interessanten und – wie ich meine –sinnvollen Aufgaben. Denn wenn man viele Jahre in öffentlichen Funktionen und in Vereinen tätig war und scheidet dann aus dem Berufsleben aus, sind zahlreiche Weggefährten der Meinung: Der hat jetzt Zeit, um andere Funktionen zu übernehmen. Es kommen auf einmal von verschiedenen Seiten Anfragen und es werden einem alle möglichen Ämter und Präsidien angeboten. Man muss dann schon ziemlich standhaft sein.» 

Ganz standhaft war Toni Gerner beim Ablehnen aber doch nicht. Jugendreferent des Blasmusikverbandes war er bei seiner Pensionierung bereits, das Amt des Verbandspräsidenten übernahm er später «als Übergangspräsident». Daraus wurden drei Amtsperioden. Bei der Harmoniemusik Eschen wirkt er bis heute mit, ebenso beim Rotaryclub Eschnerberg, dessen Gründungspräsident er war. Zwischenzeitlich präsidierte er die Gesellschaft Schweiz-Liechtenstein, ist bis heute Mitglied des Freundeskreises Musikschule, dessen Gründungspräsident er war, und Stiftungsrat des «Liachtbleck» sowie Vorstandsmitglied der Liechtensteinischen Patientenorganisation. Vor drei Jahren hat er jedoch den letzten Dirigentenstab, denjenigen der Hilti-Musik, in andere Hände übergeben. Neben diesen verschieden verschiedenen Funktionen war Toni Gerner
einige Jahre als Fahrer des Behindertenverbandes im Einsatz. 

«Jetzt ist für mich aber die Zeit angebrochen, in der ich mich von verschiedenen Funktionen und Aufgaben befreien werde. Die momentane Krise hilft ja wirksam bei der geplanten Entschleunigung für Rentner. Ich hatte ein erfülltes Berufs-, Politiker- und Vereinsleben, durfte den grossen Wandel Liechtensteins miterleben, habe versucht, vielen Jugendlichen zu zeigen, dass sich mit Verlässlichkeit und Einsatz viel bewirken lässt und auch in meiner Pension waren die Tage ausgefüllt mit Tätigkeiten, die ich gerne machte. Dankbar bin ich allen, die mich bis hierher begleitet haben und dieser Dank gehört vor allem meiner Familie. Ich freue mich nun, vermehrt den interessanten Werdegang meiner drei Enkel zu beobachten und mit ihnen Gespräche zu führen. Sie sind auch meine besten und meistbeanspruchten Ratgeber und unterstützen mich oft, besonders wenn ich mit meinen Kenntnissen beim Umgang mit den modernen Kommunikationsmitteln am Ende bin», sagt Toni Gerner und lacht.