Der Erbprinz fordert mehr Konsens ein

Am 17. Januar 2019 ist der Landtag mit der 15. Thronrede S.D. des Erbprinzen eröffnet worden. 

 

Albert Frick und Gunilla Marxer-Kranz
in ihren Ämtern bestätigt

Der Erbprinz hat in seiner Thronrede vor zunehmendem Individualismus gewarnt und mehr Konsens eingefordert. Aus diesem Grund wird Erbprinz Alois die Regierung und die Fraktionssprecher zu einem Gespräch einladen.

Bei den Wahlgeschäften wurden Landtagspräsident Albert Frick (FBP) und Landtagsvizepräsidentin Gunilla Marxer-Kranz (VU) in ihren Ämtern bestätigt. Lesen Sie nachfolgend die Thronrede von S.D. Erbprinz Alois zur Landtagseröffnung 2019:

 

«Sehr geehrte Landtagsabgeordnete und Regierungsmitglieder

Bald ist die Halbzeit der Legislaturperiode erreicht und in einer knappen Woche feiern wir 300 Jahre Fürstentum Liechtenstein. Wenn man von aussen auf unser Land und seine Kennzahlen blickt, muss man meinen, dass es uns hervorragend geht. Der Staatshaushalt ist wieder im Lot, die Wirtschaft floriert und wir können uns einer Lebensqualität erfreuen wie nie zuvor in unserer 300-jährigen Geschichte und wie sonst kaum jemand auf dieser Welt.

Spricht man hingegen mit der Bevölkerung Liechtensteins, so vernimmt man oft Klagen über Orientierungslosigkeit, Reformstau und fehlendes Vertrauen in die Politik. Man hört Zukunftsängste und die Befürchtung, dass wir zu einem Land der Nein-Sager geworden sind, dem die Gestaltung der Zukunft nicht gelingen will.

Dieser Pessimismus dürfte verschiedene Gründe haben. Nachdem Liechtenstein über 200 Jahre ein Armenhaus und Auswanderungsland war, ging es seit dem Zweiten Weltkrieg nur noch bergauf. Die Finanz- und Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren kam dann für viele von uns als Schock, weil wir nicht gewohnt waren, dass es auch einmal bergab gehen kann. Zwar konnten wir rasch die nötigen Sparpakete schnüren, aber die auch international bemerkenswerte Kürzung von über 15 % unserer Staatsausgaben wirkt noch nach.

Ein weiterer Grund ist die schlechte Stimmungslage in Europa, die sich auch auf unser Land überträgt. Es sind die Sorgen über die internationale Lage, die Nebenwirkungen von Globalisierung und Digitalisierung, die Migrationsprobleme und die demographische Entwicklung.

Diese Stimmungslage wird noch verstärkt durch eine Medienlandschaft, die wegen der Digitalisierung im Umbruch steht. Differenzierte Berichterstattung wird von schnellen und reisserischen Schlagzeilen sowie sogenannten „fake news“ verdrängt.

Der zunehmende Individualismus dürfte ebenfalls seine Auswirkung auf die Stimmungslage haben. Alles wird infrage gestellt und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit nimmt ab. Auch der Landtag scheint vom Individualismus erfasst worden zu sein. Die Zersplitterung der Parteienlandschaft hat sich fortgesetzt, sodass der Landtag mittlerweile aus fünf Fraktionen und einem freien Abgeordneten besteht.

Teilweise entstand der Eindruck, dass der Landtag weniger mit der Zukunft des Landes als mit sich selbst und seinem Verhältnis zur Regierung beschäftigt ist. Natürlich benötigt der Landtag ausreichend Informationen, um seine Aufgaben wahrnehmen zu können. Die Diskussion dazu zwischen Landtag und Regierung sowie der Ausschluss der Regierung von der Aktuellen Stunde waren für Aussenstehende hingegen nur schwer nachvollziehbar.

Ausserdem kam es zu einem besonders umfangreichen Einsatz der parlamentarischen Mittel und kleinen Anfragen. Regierung und Verwaltung sind daraufhin mit deren Beantwortung so beschäftigt, dass wir Gefahr laufen, mit wichtigen Reformen in Verzug zu geraten.

Sehr geehrte Landtagsabgeordnete und Regierungsmitglieder

Ich sehe die Zukunft nicht pessimistisch, sondern bin überzeugt, dass wir durchdachte und gut kommunizierte Investitions- und Reformprojekte auch in Zukunft realisieren können. Dies wird umso besser und schneller gelingen, je konstruktiver die Zusammenarbeit innerhalb des Landtages und zwischen Landtag und Regierung sein wird. Eine solche Zusammenarbeit sollte das Politik-Marketing auf das Nötigste beschränken – im Idealfall wieder auf die Zeit kurz vor den Landtagswahlen. Eine solche Zusammenarbeit sollte auch eine Gesprächskultur mit gutem Zuhören und konstruktiver Kritik pflegen.

Gerne möchte ich dazu beitragen und Vertreter der Landtagsfraktionen sowie der Regierung zu einem Gespräch darüber einladen, wie wir das Jubiläumsjahr 2019 für eine erfolgreiche Zukunftsgestaltung nutzen können. Dabei sollten wir besprechen, wie wir trotz unterschiedlichen Meinungen zu einzelnen Sachfragen in für unsere Zukunft wesentlichen Bereichen eine konstruktive Zusammenarbeit sicherstellen können. Angesichts der limitierten Ressourcen unserer Verwaltung sollten wir auch diskutieren, wo wir Prioritäten setzen und wie wir unnötige Belastungen der Verwaltung vermeiden können. Ausserdem sollten wir uns unterhalten, wie zu wichtigen Sachfragen eine möglichst gute Kommunikation zwischen den Staatsorganen und der Bevölkerung erreicht werden kann.

Sehr geehrte Landtagsabgeordnete und Regierungsmitglieder

Lassen Sie mich – auch als Vorbereitung einer solchen Gesprächsrunde – einige Bereiche erwähnen, die aus meiner Sicht für unsere Zukunft wichtig sind und in den nächsten Monaten Reformen oder Investitionen benötigen.

Ein weiterhin bedeutender Reformbereich ist die nachhaltige und generationengerechte Sicherung unserer Sozialsysteme. In der letzten Legislaturperiode konnten wir in dieser Hinsicht Fortschritte durch Reformen der AHV, der betrieblichen Altersvorsorge und des Krankenversicherungsgesetzes erzielen. Dieses Jahr wird der Landtag voraussichtlich die „Postulatsbeantwortung zur zukünftigen Finanzierung von Pflege und Betreuung im Alter“ behandeln. Wir sollten noch in dieser Legislaturperiode dazu einen grundlegenden Reformvorschlag beschliessen. Falls wir dabei für Übergangsgenerationen einen klar eingegrenzten Zusatzbetrag benötigen, wäre dies eine wertvolle Zukunftsinvestition.

Trotz der Reform des Krankenversicherungsgesetzes bleibt der Gesundheitsbereich auf absehbare Zeit ein wichtiges Zukunftsthema. Hier gilt es in den nächsten Monaten einerseits die richtige Entscheidung über die Zukunft des Landesspitals zu treffen. Andererseits sollten wir zusätzliche Gesundheitsreformen realisieren, wie sie teilweise auch in der „Seminarreihe zur Weiterentwicklung des liechtensteinischen Gesundheitswesens“ identifiziert wurden.

Ausserdem sollten wir dieses Jahr wesentliche Fortschritte in Richtung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf erzielen. Dazu sind verschiedene Massnahmen in unterschiedlichsten Bereichen nötig, die zum Teil auch in der primären Verantwortung unserer Unternehmen liegen. Ich möchte heute nicht näher auf all diese Massnahmen eingehen. Die Finanzierung der Kinderbetreuung ist jedoch ein Thema, das ich speziell erwähnen möchte, weil es nach der Ablehnung bei der Volksabstimmung hier schon länger einer Lösung bedarf. Da eine gute Betreuung in den ersten Lebensjahren für die Entwicklung der Kinder von grosser Bedeutung ist, wäre dies ein weiterer Bereich für eine wertvolle Zukunftsinvestition.

Im vergangenen Jahr konnte der Landtag das „Postulat zur Überprüfung des Finanzzuweisungssystems an die Gemeinden und der Aufgaben- und Finanzierungszuständigkeiten zwischen Land und Gemeinden“ behandeln. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn sich Landtag und Regierung in den nächsten Monaten diesem Thema nochmals widmen und Reformen beschliessen. Vielleicht liessen sich durch eine Neuregelung der Finanzierungen auch jene Finanzmittel finden, die wir für eine gute Kinderbetreuung während dem ersten Lebensjahr benötigen.

Dieses Jahr werden wir uns wahrscheinlich vertiefter mit den Themen Raumplanung und Verkehr auseinandersetzen können. Beim Verkehr stellt sich ebenfalls die Frage von wertvollen Zukunftsinvestitionen. Dazu benötigen wir einerseits ein durchdachtes Konzept, wie ein möglichst grosser Teil der Bevölkerung und unser Standort von Investitionen im Bereich Verkehr profitieren können. Andererseits müsste dieses Konzept der Bevölkerung gut erklärt werden.

Schliesslich möchte ich noch den Bildungsbereich erwähnen. Dieses Jahr wird der Landtag über Zukunftsinvestitionen in neue Schulbauten und die digitale Infrastruktur der Schulen entscheiden müssen. Für die Zukunft mindestens so wichtig sind Verbesserungen unseres Bildungssystems. Deshalb sollten wir unbedingt die geplante Bildungsstrategie 2025 nutzen, damit wir auch unser Bildungssystem hinsichtlich der zukünftigen Herausforderungen weiter optimieren.

Sehr geehrte Landtagsabgeordnete und Regierungsmitglieder

Lasst uns das Jubiläumsjahr ein Ansporn sein, um in konstruktiver Zusammenarbeit wesentliche Schritte für eine erfolgreiche Zukunft zu setzen. Dazu wünsche ich uns allen viel Kraft, Weisheit und Gottes Segen!»