Landtagssitzung Juni 2018: Rotwildbestand in Liechtenstein

 

Kleine Anfrage des Abg. Johannes Hasler an Regierungsrätin Dominique Gantenbein 

 

Frage:

Zu einer der bekanntesten heimischen Tierarten gehört das Rotwild. Im März 2017 wurden 291 Stück Rotwild in Liechtenstein gezählt. In den Abschlussplan für das Jagdjahr 2017/2018 wurden 232 Stück Rotwild aufgenommen und schliesslich 237 Stück Rotwild erlegt. Trotz des übertroffenen Abschussplans wurden in der Zählung im April 2018 in Liechtenstein erneut 297 Stück Rotwild gezählt. Im kürzlich herausgegebenen Abschussplan für das Jagdjahr 2018/2019 scheinen 290 Stück Rotwild auf. Die Abschusszahl wurde somit um 25% erhöht. Auf den ersten Blick schaut das nach Ausrottung und nicht nach einer nachhaltigen und enkeltauglichen Bejagung aus.

  1. Weshalb wird der Rotwildbestand trotz dieser sehr hohen Abschusszahlen von fast 100% des gezählten Bestandes nicht ausgerottet, ja sogar kaum reduziert?
  2. Gerade beim Rotwild, das in kürzester Zeit enorme Strecken zurücklegen kann, scheint eine länderübergreifende Jagd- und Abschussplanung unerlässlich. Wie hoch sind die Abschusszahlen und Bestände beim Rotwild der letzten fünf Jahre pro Hektar in Liechtenstein im Vergleich zu den Kantonen Graubünden und St. Gallen sowie dem Bundesland Vorarlberg?
  3. Was sind die Gründe für die hohen Abschusszahlen beim Rotwild in Liechtenstein im Vergleich zum angrenzenden Ausland?
  4. Was wurde konkret in den letzten Jahren zur Verbesserung und Beruhigung des Lebensraums des Rotwilds unternommen?
  5. Soll das Rotwild nach Ansicht der Regierung zukünftig den notwendigen Lebensraum für einen überlebensfähigen Bestand in Liechtenstein erhalten?

 

Antwort:

Zu Frage 1:

Die Erhebungen im Frühjahr dienen dazu, mittels repräsentativer Stichproben einen Bestandsentwicklungstrend über mehrere Jahre darzustellen. Die exakte Grösse des effektiv bejagten Rotwildbestands ist jedoch kaum zu bemessen. Es ist seit Jahren so, dass die Zahlen der Frühjahrserhebungen teilweise unwesentlich grösser sind als die später erzielten Streckenzahlen. Aus dem Zusammenhang zwischen Bestandsentwicklungstrend und den Strecken der letzten Jahre sind Rückschlüsse auf die Gestaltung der Abschusszahlen im Folgejahr zu ziehen. Der tatsächlich bejagte Bestand ist so hoch zu schätzen, dass bei einer jährlichen Strecke von 200 bis 250 Stück höchstens nur der jährliche Zuwachs abgeschöpft wird. Entsprechend ist der Rotwildabschuss für das laufende Jagdjahr konsequenterweise erhöht worden um eine Waldverjüngung zu ermöglichen, wobei keine Gefahr der Ausrottung des Rotwildbestandes besteht. D. h. will man den Bestand reduzieren, so muss die Abschusszahl entsprechend hoch angesetzt werden.

Zu Frage 2:

Die Rotwildbestände im Dreiländereck zwischen Rhein, Ill und Landquart hängen zusammen und sind für manche Aspekte der Rotwildbewirtschaftung in Liechtenstein relevant. In den drei Ländern bestehen unterschiedliche Jagdsysteme und Rahmenbedingungen. Eine Gemeinsamkeit ist die Bemühung, die Bestände so zu regulieren, dass sie eine an den Lebensraum angepasste Grösse erreichen. In Liechtenstein wurden über die letzten fünf Jahre pro 100 ha bejagter Fläche (Flächen mit getätigten Abschüssen) durchschnittlich 3 Stück Rotwild erlegt. Im abgelaufenen Jagdjahr wurden mit dem Ziel einer Bestandsreduktion allerdings 3.1 Stück pro 100 ha bejagter Fläche erlegt. Im angrenzenden Prättigau/Graubünden liegt der mehrjährige Durchschnitt bei gleicher Berechnungsmethode bei 1.5 bis 2 Stück Rotwild pro 100 ha bejagter Fläche. In den angrenzenden Vorarlberger Revieren werden 1.5 bis 2 Stück Rotwild pro 100 ha Lebensraum erlegt. Diese Zahl basiert auf einer etwas unterschiedlichen Berechnungsmethode und ist deshalb nur bedingt mit den oben genannten Zahlen aus Graubünden und Liechtenstein vergleichbar. Es gibt an Liechtenstein angrenzende Vorarlberger Jagdreviere, die auf Streckendichten von bis zu 5 Stück Rotwild pro 100 ha bejagter Fläche kommen.

Zu Frage 3:

Die Gründe dafür sind vielschichtig und komplex. Im Wesentlichen sind sie auf Unterschiede bei der anthropogenen Raumnutzung, der damit zusammenhängenden Verteilung essentieller Schutzwälder, den grundsätzlich günstigen Schalenwildlebensraumverhältnissen in Liechtenstein sowie der zusammenhängenden Rotwildpopulation im Dreiländereck zurückzuführen. Letzteres erschwert die Bestandsregulierung, da Liechtenstein über viele vom Rotwild bevorzugte Lebensräume, die teilweise gleichzeitig Schutzwälder sind, verfügt.

Zu Frage 4:

Das Schalenwild findet in Liechtenstein grundsätzlich sehr gute Nahrungsgrundlagen vor. Seit mehreren Jahrzehnten werden vor allem die Wälder der unteren und mittleren rheintalseitigen Hanglagen durchforstet und aufgelichtet. Es stellte sich vielerorts eine üppige Bodenvegetation ein, die im Sommer Nahrung und Versteckmöglichkeiten bietet. Die Anlage von Äsungsflächen im Wald wird von den Forstbetrieben unterstützt und der Unterhalt solcher Flächen wird finanziell vom Staat gefördert. Die Jagdgemeinschaften leisten beim Unterhalt dieser Flächen eine wertvolle Arbeit. Mit der Ausscheidung von Winterruhezonen ist ein wichtiger Beitrag zur räumlichen Entflechtung von widerstreitenden Nutzungsinteressen während der Jahreszeit mit dem höchsten Ruhe- und Schutzbedürfnis vieler Wildarten geleistet worden.

Zu Frage 5:

Die Ausstattung mit Lebensraumrequisiten, die klimatischen Bedingungen und das Angebot an ungestörten Rückzugsmöglichkeiten bestimmen die Qualität eines Wildlebensraums. Deshalb ist das Rotwild Bestandteil der einheimischen Fauna und Liechtenstein ist Teil des Lebensraums dieser Wildart. Jeder Lebensraum ist aber räumlich begrenzt und vermag nur einer beschränkten Anzahl von Wildtieren Platz zu bieten. Durch vielfältige weitere Nutzungsinteressen wird die Tragfähigkeit der Lebensräume im Kulturland weiter eingeschränkt. Beim Rotwild ist eine Bestandsreduktion in Liechtenstein zur Gewährleistung der Waldverjüngung und somit der Schutzfunktion unserer Wälder notwendig. In Bezug auf das Rotwild bedeutet dies, dass ein im Vergleich zu heute stark reduzierter Bestand in Liechtenstein entsprechende Lebensräume vorfinden würde und Konflikte auf einem verträglichen Mass gehalten werden könnten, ohne dabei die Population zu gefährden.