«Das ist keine Gesamtstrategie, sondern ein Flickwerk»

VU-Parteipräsident Günther Fritz, Landtagsvizepräsidentin Gunilla Marxer-Kranz und der VU-Fraktionssprecher Günter Vogt stellten das "Bürgerpaket" vor.

Interview der «lie:zeit» mit VU-Präsident Günther Fritz zu aktuellen Fragen

Vaduz – In dieser und in den nächsten Ausgaben veröffentlichen wir Interviews mit den Präsidenten der liechtensteinischen politischen Parteien zu aktuellen Fragen und Themenbereiche, welche die Bevölkerung betrifft. Die lie:zeit beginnt heute mit dem VU-Präsidenten Günther  Fritz.

«lie:zeit»: Herr Fritz, Sie sind seit zwei Jahren Parteipräsident der Vaterländischen Union. Was hat sich in diesen zwei Jahren innerhalb der Partei verändert und welche Massnahmen sind für die Zukunft angedacht?

Günther Fritz: Ich hatte mein Amt ein Jahr vor den Landtagswahlen 2017 angetreten, aus denen wir schliesslich leider nur als zweitstärkste politische Kraft hervorgegangen sind. Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch, Regierungsrätin Dominique Gantenbein, unsere neuen und wiedergewählten Abgeordneten sowie die zum Teil erneuerten Parteigremien haben sich innert kürzester Zeit zu schlagkräftigen Teams zusammengefunden. Wir haben alle ein gemeinsames Ziel, nämlich auf der Basis der Wertvorstellungen der VU unser Land vorwärtszubringen. Die Politik steht vor grossen Herausforderungen. Es gilt, Lösungen zu erarbeiten, bei denen die Menschen nicht vergessen werden.

Nach dem Parteiaustritt des Abgeordneten Johannes Kaiser hat die FBP der VU «schändliches Verhalten» vorgeworfen, weil sie ihn in die Besondere Landtagskommission zur Stärkung der Informationsrechte des Landtags gewählt hatte. Und nach der Vorstellung des VU-Bürgerpakets stellte Regierungschef Adrian Hasler die Koalition infrage. Er nannte das Bürgerpaket «billigen Populismus». Ist nach den Gesprächen im Koalitionsausschuss nun alles wieder im Lot?

Ziel von VU und FBP ist es nach wie vor, zukunftsfähige Lösungen für das Land zu realisieren. Daran hat sich durch den vom Regierungschef und von der FBP angezettelten, öffentlichen Streit nichts geändert. Die VU hat sich im Zuge der mit einem Gewinn von 170 Mio. Franken in der Erfolgsrechnung erfreulich positiv ausgefallenen Landesrechnung 2017 erlaubt, an die Bürger zu denken und ein Bürgerpaket zu lancieren. Daraufhin warfen uns Adrian Hasler und die FBP «leichtfertigen Umgang mit den Staatsfinanzen» und ein «staatsschädigendes Verhalten» vor. Diese Überreaktion können wir absolut nicht nachvollziehen, und das haben wir beim letzten Koalitionsausschuss vom 4. Mai auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Wir können nach wie vor nicht verstehen, weshalb Massnahmen, die dem «Normalbürger» zugutekommen, «staatsschädigend» sein sollen.

Aber hat der Regierungschef nicht schon seit Längerem die Phase des Gestaltens ausgerufen?

Das hat er, ja. Aber er hat in seinem offenen Brief aufgezählt, um was es ihm dabei geht: um Infrastrukturprojekte. Das ist uns eindeutig zu wenig. Mit unserem letzten Wahlslogan «Mehr möglich machen» haben wir unsere Haltung unterstrichen, dass in der laufenden Legislaturperiode für die liechtensteinische Bevölkerung wieder mehr möglich sein muss. Das heisst, an die Menschen in Liechtenstein zu denken, die in den Zeiten des Sparens mehr als einmal zur Kasse gebeten worden sind. So wollen wir für die brennenden sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen zukunftsorientierte Lösungen erarbeiten.

Was beinhaltet das Bürgerpaket?

Die VU befasst sich in verschiedenen Arbeitsgruppen schon seit Längerem mit den fünf Themen «Für mehr staatliches Engagement bei der AHV», «Für ein gutes Leben im Alter», «Für bezahlbare Krankenkassenprämien», «Für eine Stärkung der Familien» und mit dem Generationenprojekt «Für ein Demografie-Prozent». Wir sind dabei, hierfür Lösungsansätze vorzubereiten und diese mit Vorstössen und Anträgen voranzutreiben.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Nehmen wir das Thema AHV. Vor zwei Jahren hat der Landtag im Zuge der AHV-Reform beschlossen, den Staatsbeitrag ab 2018 fix auf 30 Mio. Franken festzulegen. Während in der Schweiz der Bund vergleichsweise einen jährlichen Beitrag von fixierten 19,5 Prozent der Ausgaben an die dortige AHV beisteuert, sind es bei uns neu gerade noch 10,4 Prozent gemessen am Ergebnis 2017 der AHV. Damit hat sich der Staat im Rahmen der Sparmassnahmen aus der Solidargemeinschaft herausgekauft und diejenigen, die sich nicht herauskaufen können – nämlich die Beitragsleistenden und die Rentenbezüger –, allein zurückgelassen. Dieses Ungleichgewicht wollen wir wieder ins Lot bringen.

Gesellschaftsminister Pedrazzini hat nun die VU-Interpellation zur künftigen Ausrichtung des Landesspitals beantwortet. Wie beurteilen Sie den vorliegenden Bericht?

Der Bericht enthält verschiedene Szenarien und noch mehr unterschiedliche Meinungen und Fragezeichen. Das heisst, eine breit getragene und durchdachte Lösung ist nicht in Sicht. Was ich begrüsse, ist, dass die Regierung an der bisherigen Eignerstrategie sowie Unternehmensstrategie des Landesspitals festhält. Denn mit einer blossen Nischenstrategie würde das Landesspital auf Dauer nicht lebensfähig sein. In diesem Punkt stimme ich mit Gesellschaftsminister Pedrazzini überein. Es würde keinen Sinn machen, abzuwarten, was andere anbieten, um dann den unrentablen Rest zu übernehmen. Damit verkäme das Landesspitalangebot tatsächlich zu einem «Flickwerk», wie es der Gesellschaftsminister formuliert.

 

 

Die der Interpellationsbeantwortung beigelegte PwC-Studie favorisiert den Umzug des Landesspitals in die moderne Infrastruktur der Privatklinik in Bendern mit gleichzeitiger Integration des Belegarztsystems der Medicnova-Betreiber. Was halten Sie davon?

Ich habe bereits im September 2017 den Gesellschaftsminister aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, da es nicht sein kann, dass am Ende einfach derjenige überlebt, der den längeren Schnauf hat. Mir kommt jedoch die gesundheitspolitische Strategie von Gesundheitsminister Pedrazzini vor wie das von ihm ins Spiel gebrachte «Flickwerk». Im letzten September versprach er dem Landtag, dass das Landesspital mit  einer Finanzspritze von insgesamt 4,5 Mio. Franken für die Jahre 2017 bis 2019 und mit den angekündigten Bauinvestitionen von 10 Mio. Franken wieder auf Erfolgskurs gebracht werden könne. Gilt das Versprochene über Nacht nicht mehr? Wurde der Landtag damals hinters Licht geführt oder wird er dies jetzt, mit dem plötzlichen Hilfeschrei einer notwendigen Zusammenführung am neuen Standort in Bendern?

Wie beurteilen Sie ein Zusammengehen des Landesspitals und der Medicnova in Bendern?

Mit einer gemeinsamen Infrastrukturlösung unter einem Dach in Bendern sind die grundsätzlichen Probleme nicht behoben. Es geht um viel mehr. Zum einen: Die Medicnova verteidigt ihre Belegarztsystem-Kultur und ihre nach dem Weggang aus Vaduz gewonnene Unabhängigkeit. Das Landesspital setzt weiterhin auf das Chefarztsystem, um den gesetzten Qualitätsansprüchen gerecht werden zu können. Wie soll hier nun eine notwendige Harmonie zwischen diesen unterschiedlichen Kulturen erzielt werden? Zum anderen: Soll sich das Landesspital in Bendern einmieten? Soll der Staat die Spitalimmobilie kaufen? Wenn ja, zu welchem Preis? Was passiert mit dem Standort Vaduz? Wer bekommt für welches Leistungsangebot einen OKP-Vertrag? Wie kann garantiert werden, dass die meisten Fälle im Inland bleiben und nicht nach Grabs überwiesen werden? Sie sehen, es sind noch sehr viele Fragen offen, die über die Infrastruktur hinausgehen.

Wie soll es nun weitergehen?

Am Ende des politischen Entscheidungsprozesses dürfte wohl eine Volksabstimmung stehen, da die Bevölkerung von dieser Frage unmittelbar betroffen ist. Viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich nämlich heute schon, wie stark Gesundheitsminister Pedrazzini die Staatskasse schröpfen will. Und vor allem, warum der Staat überhaupt mit Millionen öffentlicher Gelder einspringen soll, wenn sich Belegärzte, die ein unternehmerisches Risiko eingegangen sind, verspekuliert haben. Gesundheitsminister Pedrazzini ist gefordert, nicht nur eine ehrliche, gut überlegte und den Anforderungen entsprechende Infrastrukturlösung zu präsentieren. Im Gleichschritt dazu braucht es endlich auch eine umfassende Betriebslösung für die ambulante und stationäre Spital-Grundversorgung unserer Bevölkerung, die nachhaltig funktioniert und auch im Hinblick auf die Gesundheitskosten tragbar ist. Die VU steht für ein starkes Landesspital und eine gute medizinische Grundversorgung ein. Dass dazu auch die notwendige Infrastruktur bereitgestellt wird, liegt auf der Hand. Alleine eine neue Infrastruktur löst aber keine Probleme.