Als Finanzministerin ist ein nachhaltiger Umgang mit den Staatsreserven ein zentrales Anliegen für Regierungschefin Brigitte Haas. Ein Abbau kommt für sie nur für langfristige Zukunftsinvestitionen infrage. Die Zukunft des Landes steht aber auch ganz generell im Zentrum ihrer Arbeit und dominiert das gesamte Regierungsprogramm für die laufende Legislaturperiode.

Frau Regierungschefin, Sie sind fast auf den Tag genau seit acht Monaten im Amt. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und wie lautet Ihre Zwischenbilanz?
Regierungschefin Brigitte Haas: Es war eine intensive, spannende und bereichernde Zeit. In den vergangenen Monaten haben wir nicht nur innerhalb der Regierung an gemeinsamen Erfahrungen, sondern auch im Zusammenspiel mit unseren Amts- und Stabstellen an Routine gewonnen. Wir haben die ersten grossen Herausforderungen, zum Beispiel die US-Zölle, im Rahmen der Möglichkeiten eines Kleinstaats ministeriumsübergreifend gut gemeistert sowie für die ersten Gesetzesvorlagen die Zustimmung des Landtags eingeholt. Unter dem Strich bin ich also zufrieden, auch wenn es in manchen Bereichen bestimmt noch Luft nach oben gibt.

Welches waren für Sie die wichtigsten Geschäfte der Gesamtregierung und in Ihrem persönlichen Aufgabenbereich seit dem Amtsantritt am 10. April?
Neben den bereits erwähnten US-Zöllen waren sicher das Budget sowie die Erarbeitung des Regierungsprogramms zuoberst auf der Agenda. Letzteres stellt die strategischen Weichen für die Legislaturperiode, während der Landesvoranschlag und die Finanzplanung vom Prozess her sehr intensiv waren. Dort wird schliesslich jede einzelne Ausgabenposition des Staates überprüft, diskutiert und verhandelt. Und auch wenn der Staatshaushalt im Lot ist, so stehen wir doch wachsenden Ansprüchen gegenüber. Da braucht es dann viele Abwägungen, wofür künftig Geld ausgeben werden soll.

Wie haben Sie die Debatten dazu im Landtag erlebt?
Insgesamt sicher konstruktiv. Die Abgeordneten kommen gut vorbereitet in die Sitzung und haben oft viele Fragen und Verbesserungsvorschläge dabei. Gerade aufgrund der unterschiedlichen beruflichen und privaten Hintergründe der Abgeordneten kommen oft nochmals ganz neue Impulse. Das kann zur Lösungsfindung beitragen, solange die Vorschläge konstruktiv und nicht nur aus politischem Kalkül oder Eigeninteresse gestellt werden.

Gibt es Veränderungen, die Sie sich für das kommende Jahr in der politischen Zusammenarbeit mit dem Landtag – sei es in der Koalition oder mit der Opposition – beziehungsweise in der Debattenkultur wünschen würden?
Ich bin davon überzeugt, dass alle Personen, die im Landtagskreis Platz nehmen, das Beste für das Land wollen. Das trifft nicht nur auf die Abgeordneten, sondern insbesondere auch auf die Mitglieder der Regierung zu. Manchmal vermisse ich diesbezüglich den nötigen Respekt. Es darf und soll hart in der Sache verhandelt werden, aber persönliche oder populistische Angriffe sind fehl am Platz. Insbesondere dann, wenn man das Volk gegen die Regierung oder den Landtag ausspielen will. Das braucht es nicht, sondern zerstört nur das Vertrauen in staatliche Organisationen.

Sie haben den Landesvoranschlag beziehungsweise das Budget bereits angesprochen. Wie beurteilen Sie als Finanzministerin die finanzielle Situation des Staates?
Wir stehen, auch im internationalen Vergleich, noch immer gut da. Gerade die staatlichen Reserven helfen uns, unsere Einnahmen mit Erträgen aus den Finanzanlagen aufzustocken. Aber wir müssen schauen, dass der Staatshaushalt ausgeglichen bleibt. Das bedeutet: nicht mehr ausgeben als wir einnehmen. Und dies wird nicht einfacher. Der Druck, das Land soll neue staatliche Förderungen und Leistungen zur Verfügung stellen, ist sehr hoch. Da gibt es ein Spannungsverhältnis: Einerseits möchte jeder individuell seinen Bedürfnissen nachgehen, andererseits soll der Staat möglichst viel absichern und mitfinanzieren. Das geht nicht auf. Hinzu kommt, dass wir die Einnahmen nicht einfach steigern können. Wir müssen unsere Ausgaben deshalb kritisch überprüfen, bewerten und priorisieren. Und wir werden nicht alle Wünsche erfüllen können.

Die Staatsreserven sind in den vergangenen Jahren praktisch immer und teils deutlich gestiegen. Vor Begehrlichkeiten haben Sie in den letzten Monaten – wie gerade in der vorangehenden Antwort wieder – dennoch stets gewarnt und für einen haushälterischen Umgang mit den Reserven plädiert. Wofür wären Sie trotz allem bereit, die Reserven einzusetzen oder generell mehr Geld auszugeben?
Wenn wir die Staatsreserven nutzen, dann muss das für langfristige und sinnvolle Zukunftsinvestitionen passieren. Dafür ist das Geld da. Das können Generationenprojekte im Bereich, Gesundheit, Bildung und Verkehr sein. Und das machen wir ja heute bereits: Wir investieren in Schulgebäude oder ein Spital. Was meiner Ansicht nach aber keine vorausschauende Lösung ist, ist die Finanzierung von laufenden Ausgaben aus den Reserven. Denn das würde zu einer Negativspirale führen: Unsere Reserven nehmen jährlich ab, dadurch werden die Erträge aus den Anlagen tiefer und entsprechend braucht es wieder mehr Geld aus den Reserven, die dann wiederum sinken. Dann sind die Reserven schneller aufgebraucht, als man denkt. Das ist keine zukunftsgerichtete, verantwortungsvolle Politik.

Um noch beim Geld zu bleiben: Die Anpassung der Quote beim IWF hat im Landtag eine komfortable Mehrheit mit 20 Stimmen aus allen Parteien gefunden, obwohl im Vorfeld zahlreiche kritische Stimmen laut geworden waren. Worin sehen Sie den Grund für diese breite Zustimmung der Abgeordneten?
Am Ende haben schlicht die Fakten überzeugt. Das Geld bleibt ja schliesslich im Besitz des Landes. Mit der Zustimmung des Landtags haben wir die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des liechtensteinischen Finanzplatzes, des Realsektors und des Landes Liechtenstein gestärkt, indem uns im hoffentlich nie eintretenden Krisenfall mehr
Geld zur Verfügung gestellt würde.

Vom Beitritt zum IWF bis zur ersten Erhöhung des Beitrags ist gerade einmal ein gutes Jahr vergangen. Rechnen Sie kurz- bis mittelfristig mit weiteren Erhöhungen?
Der IWF prüft die Quoten regelmässig, in der Regel im Abstand von fünf Jahren. Das muss der IWF tun, damit er seinen Auftrag zur Gewährleistung der Stabilität des internationalen Währungs- und Finanzsystems wirksam erfüllen kann. Schliesslich muss sich der IWF laufend an aktuelle Entwicklungen in der Weltwirtschaft anpassen können. Das bedeutet aber nicht, dass es alle fünf Jahre zu Erhöhungen kommt –
darauf wird bei Nichtbedarf verzichtet, wie es übrigens bei der letzten Quotenüberprüfung der Fall war.

In ihrem ersten Jahr konnten als Regierungschefin konnten Sie bereits diverse Staats- und Regierungschefinnen sowie -chefs treffen. Wie wird Liechtenstein im Ausland wahrgenommen?
Wir werden als verlässlicher, stabiler und vertrauenswürdiger Partner wahrgenommen. Dank einer weitsichtigen und grössenverträglichen Aussenpolitik in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben wir uns einen guten Ruf erarbeitet. Wir sind vielleicht kein aussenpolitisches Schwergewicht, aber wir haben es geschafft, durch die Fokussierung auf bestimmte Nischen Veränderungsprozesse auf internationalem Niveau anzustossen. Das ist für einen Kleinstaat alles andere als selbstverständlich. Zudem haben wir in vielen Gremien dieselbe Stimmkraft wie grosse Länder, was uns zu einem gefragten Partner macht.

Ein letztes rückblickendes Thema: Anfang Oktober hat die Regierung ihr Programm für die laufende Legislaturperiode präsentiert. Es steht unter dem Motto «Stabilität sichern, Zusammenhalt stärken, Perspektiven schaffen». Wie möchten Sie diese drei Ziele, kurz zusammengefasst, erreichen?
Sie möchten, dass ich 32 Seiten mit Massnahmen kurz zusammenfasse? (lacht) Im Kern geht es darum, dass wir unsere Zukunft so gestalten, dass auch unsere Nachkommen in einem sicheren, stabilen und zukunftsorientierten Land aufwachsen können. Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, wie schnell sich die Bedingungen auf der ganzen Welt verändern. Bestehende Allianzen und Koalitionen werden infrage gestellt, Verträge werden nicht mehr eingehalten und im schlimmsten Fall werden Kriegshandlungen begangen. Wir sind heute gefordert, die innenpolitischen Verhältnisse so stabil wie möglich zu halten, was in einem derart volatilen Umfeld ein hohes Mass an Flexibilität und Kreativität erfordert. Daher ist es für uns wichtig, wirtschaftliche Sicherheit zu fördern, nachhaltig zu handeln und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Zudem engagieren wir uns auf internationaler Ebene für Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, um einen konkreten Beitrag zu Friedenssicherung, Solidarität und nachhaltiger Entwicklung zu leisten. Das dient unserem Land ganz direkt in vielen Bereichen.

Im Landtag wurden vereinzelt Stimmen laut, denen das Regierungsprogramm zu oberflächlich ist. Was entgegnen Sie?
Was man wissen muss: Es ist ein strategisches Papier auf einer hohen Flughöhe, in dem wir die Leitlinien für die kommenden Jahre festlegen. Die operativen Pläne, wann welches konkrete Projekt umgesetzt wird, legen die jeweiligen Ämter und Stabstellen jeweils in Abstimmung mit den Ministerien für sich selbst fest. Aber: Konstruktive Rückmeldungen nehmen wir gerne auf und bauen sie in unsere Arbeit ein – ob dies nun im Regierungsprogramm steht oder nicht.

Kommen wir zu einem Ausblick auf das Jahr 2026. Welche Themen werden die politische Agenda dominieren, wo herrscht Handlungsbedarf und welchen Herausforderungen muss sich Liechtenstein stellen?
Wir können derzeit nicht davon ausgehen, dass die Welt stabiler wird. Es gibt aktuell einfach viele Unsicherheiten. Wir werden gefordert sein, auf unvorhersehbare Ereignisse schnell und flexibel zu reagieren. Innenpolitisch werden wir nächstes Jahr die grossen Themen angehen: die langfristigste Sicherung unserer Sozialwerke, die Präsentation und Umsetzung der Sicherheitsstrategie, die Stärkung der Resilienz unserer Gesellschaft, die Gesundheitskosten oder den Zugang zu freien und offenen Märkten für unsere Wirtschaft. Es warten also grosse Aufgaben auf uns.

Zunächst stehen nun aber Weihnachten und der Jahreswechsel an. Können Sie in dieser Zeit ein wenig ausspannen? Falls ja: wie?
Natürlich hoffe ich, dass die Tage zwischen den Jahren etwas ruhiger sind. Ich freue mich darauf, ein paar gemütliche Tage zu Hause im Kreise meiner Liebsten verbringen zu können. Dazu gutes Essen, viele Mailänderle und mal eine andere Lektüre als Regierungsvorlagen … (lacht)

Was wünschen Sie Liechtenstein und seiner Bevölkerung für die Feiertage und das neue Jahr?
Ich wünsche allen Einwohnerinnen und Einwohnern schöne und friedliche Weihnachten und «an guata Rotsch» ins neue Jahr. Ich hoffe, es bleiben Momente zum Durchatmen und die Zeit, um sich zu erholen – sei das bei der Familie, in der Natur oder einfach gemütlich daheim.

Für das kommende Jahr wünsche ich mir für Liechtenstein und die Welt vor allem eines: Frieden und Sicherheit. Für alle anderen Herausforderungen finden wir eine Lösung.