Seit dem Ausfall von Präsident Toni Real vor ein paar Monaten liegt die Hauptverantwortung beim Liechtensteinischen Skiverband, kurz LSV, bei Vize-Präsident Marco Büchel. Der vierfache Weltcupsieger und WM-Silbermedaillengewinner kann den erheblichen Mehraufwand dank der Unterstüzung der Mitglieder des Führungsteams gut bewältigen.
«Büxi» fühlt sich unterdessen in seiner neuen Rolle recht wohl und hofft nun auf eine erfolgreiche Saison.

Durch den Ausfall von Präsident Toni Real hat sich dein Arbeitspensum beziehungsweise Verantwortungsbereich als LSV-Vizepräsident deutlich erhöht. Wie kommst du damit zurecht?
Marco Büchel: Ja das stimmt, durch den Ausfall von Toni habe ich doch einiges mehr zu tun, aber glücklicherweise habe ich beim LSV ein Führungsteam, das mich stark unterstützt. Gleich nach Bekanntwerden von Tonis Bergunfall war klar, dass ich die Verantwortung beim LSV übernehmen muss. Was immer möglich ist, erledige ich selbst, ansonsten gibt es die Möglichkeit, Dinge zu delegieren. Ich habe mich gut in diese neue Rolle eingefunden versuche, zusammen mit dem Führungsteam das Beste aus der Situation zu machen.

Der Weltcup-Auftakt bei den Alpinen ist bereits erfolgt. Du warst als ZDF-Experte in Sölden vor Ort. Gibt es aus deiner Sicht neue Entwicklungen im technischen Bereich und bezüglich des Materials zu beobachten?
Es gibt eigentlich im Vergleich zur letzten Saison keine grossen Veränderungen. Die Carbonschoner, welche die Athleten zur Verlängerung des Skischuhs hatten, wurden von der FIS wieder zurückgebunden. Sie dürfen nicht mehr so hoch sein und müssen in den Schuh integriert werden. Die Athleten haben diesbezüglich eine Lösung gefunden. Ob das die Sache wirklich weniger aggressiv machen wird, muss sich noch zeigen. Viel ist von den Fahrern darüber noch nicht zu hören. Insgesamt aber ist das Wettrüsten im Material- und Technikbereich durchaus weitergegangen. Ich rechne wieder mit einer Saison, in der das Material sehr aggressiv sein wird und dass es je nach Schneeverhältnissen leider wieder zu Unfällen kommen wird. Das Rad ist nicht zurückgedreht worden, sondern nur ein wenig eingebremst.

Marco Odermatt hat in Sölden bereits wieder gewonnen. Wird er auch in dieser Saison durchmarschieren?
Ob er tatsächlich wieder durchmarschiert, kann ich nicht sagen. Odi hat selbst gesagt, dass er als Allrounder den Zenit wohl erreicht hat. Auch sein Tag hat nur 24 Stunden, und er bestreitet drei Disziplinen. Da kommt das Riesenslalom-Training manchmal zu kurz. Da ist er in dieser Sparte im Vergleich zu den Riesenslalom-Spezialisten doch etwas im Nachteil. Deshalb glaube ich nicht, dass Odi diese Disziplin weiter nach Belieben dominieren wird. Im Gesamtweltcup bleibt er für mich der klare Topfavorit, ich rechne aber mit weniger Einzelerfolgen von ihm.

Kommen wir zu den Liechtensteinerinnen und Liechtensteinern: Darf man im kommenden Winter mit Weltcuppunkten rechnen? Falls ja: Wem traust du dies zu?
Ja ich gehe davon aus, dass wir Weltcuppunkte holen werden, aber dafür wird nur Marco Pfiffner (fährt auf eigene Kosten, die Red.) infrage kommen. Er wird der einzige Athlet sein, der im Weltcup Rennen bestreitet. Wie Pfiffi selbst angekündet hat, wird es seine letzte Saison sein mit dem grossen Ziel Olympische Spiele in Mailand/Cortina beziehungsweise für die Abfahrer in Bormio. Bei den Frauen schmerzt uns natürlich der Ausfall von Charlotte Lingg, die sich am Ende der vergangenen Saison eine schwere Knieverletzung zugezogen hat. Sie wird diesen Monat wieder auf Schnee trainieren, doch die Zeit bis Olympia ist zu kurz. Wir möchten ihr genügend Zeit geben, auch mit der Möglichkeit, dass sie eine Rennsaison verpasst. Der Heilungsverlauf ist bei Charlotte jedenfalls als sehr positiv zu bewerten. Die übrigen LSV-Läuferinnen und -Läufer sind für Weltcupeinsätze wohl noch zu jung.

Saisonhöhepunkt sind die Olympischen Spiele in Cortina. Wie viele Athleten und Athletinnen dürften die Selektion schaffen und was sind die Erwartungen?
In erster Linie kommt dafür Marco Pfiffner infrage. Die erste Qualifikationshürde hat er bereits genommen. Die Pflicht ist quasi erfüllt, die Kür sollte er auch noch packen. Ansonsten steht bei den Männern bei den Alpinen niemand zur Diskussion. Bei den Frauen steht Charlotte Lingg zwar auf der Liste, aber wie bereits erwähnt, dürfte die Zeit für sie zu knapp werden. Ebenfalls ein Thema könnte Madeleine Beck sein, sofern sie die Limiten schafft. Das würde mich persönlich sehr freuen, zumal auch ich als 20-jähriger Athlet 1992 in Albertville mein Olympia-Debüt geben durfte. Bei den Nordischen haben wir insgesamt vier Namen genannt: Robin Frommelt, Micha Büchel, Nina Riedener und Anna Uehli. Dabei sein können schliesslich eine Athletin und ein Athlet. Noch ist offen, wer sich durchsetzen wird.

Marco Büchel hat sich von Long Covid vollständig erholt.

Kurz noch ein Blick in die fernere Zukunft: Wenn du aktuell den LSV-Nachwuchs betrachtest, darf man irgendwann wieder von internationalen Spitzenplätzen träumen?
Talente sind durchaus vorhanden, aber aus eigener Erfahrung weiss ich, dass sich eine Karriere Richtung Spitze nicht linear planen lässt. Verletzungen können dich weit zurückwerfen, das sehen wir am Beispiel von Charlotte Lingg. Ich bin überzeugt, dass sie viel Potenzial hat. Ob es allerdings zu Weltcuperfolgen oder Podestplätzen reichen wird, weiss man nicht. Top 15 traue ich ihr auf jeden Fall zu, aber sie braucht nach dieser schweren Verletzung Zeit. Bei den jungen Läuferinnen und Läufern beim LSV sehe ich grossen Einsatzwillen und auch Talent, allerdings hat man keine Garantie, dass jemand den Durchbruch schaffen wird. Wir vom LSV werden alles dafür tun, damit die Voraussetzungen gegeben sind und die Sportler ihre Träume verwirklichen können.

Noch etwas Persönliches: Wie gut hast du dich von Long-Covid erholt und wie lange läuft dein Vertrag noch als ZDF-Ski-Experte?
Long Covid ist abgeschlossen. Ich konnte das jetzt hinter mir lassen. Im vergangenen Januar hatte ich nochmals eine Infektion. Von da an ging es mir wieder schlechter, aber plötzlich hat sich das Blatt gewendet. Mir ging es von Tag zu Tag besser, ich habe keine Symptome mehr, bin voll leistungsfähig, und dafür bin ich sehr dankbar. Meine Verträge beim ZDF als Experte gelten aus rechtlichen Gründen jeweils für ein Jahr, die laufende Saison ist fix. Ich liebe diesen Job sehr und kann mir gut vorstellen, diesen noch eine Weile auszuüben.