Mit dem Buch «8 ½ Stunden sind kein Tag» haben sich drei junge Liechtensteiner an eine neue Art der Geschichtsvermittlung gewagt. In acht Erzählsträngen führen sie durch die Erwerbsgeschichte seit der Erhebung Liechtensteins zum Reichsfürstentum im Jahr 1719 und schlagen am Ende eine elegante Brücke in die Gegenwart. Ein Überblick über ein Projekt, das in die Rubrik «Was lange währt, wird endlich gut» gehört und die Leserschaft in seinen Bann zieht.

Sechs Jahre ist es mittlerweile her, seit David-Johannes Buj Reitze, Annett Höland und Toni Büchel in Zusammenarbeit mit dem Gasometer in Triesen die Ausstellung «8 ½ Stunden sind kein Tag» organisiert und präsentiert haben. «Damals meinte ein Besucher wörtlich: ‹Das schreit nach einer Publikation›», sagt David-Johannes Buj Reitze, der sich die Idee mit seinen beiden Co-Kuratoren zu Herzen genommen hat. Ausgangspunkt für die Publikation waren die für die Ausstellung entwickelten Erzählstränge zu acht unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen. Diese Geschichte(n) sollten auch über die Ausstellungsdauer hinaus zugänglich gemacht werden und so ein Weiterlesen oder sich vertiefen ermöglichen. «Von Anfang an war klar, dass es kein klassischer Ausstellungskatalog werden sollte, sondern eine Teilübersetzung mit punktuellen Erweiterungen.»
Eine «Nervenprobe», die sich gelohnt hat
Der ursprüngliche Plan des Dreierteams war es, die Publikation im Sommer 2021 zu präsentieren. «Eine zentrale Förderzusage aber war stets ‹in Bearbeitung› und erreichte uns nie. Deshalb hatten wir das Projekt 2021, bis zur Klärung der Angelegenheit, auf Eis gelegt. Geklärt hat es sich bisher nicht. Dass der Inhalt aber nach wie vor publikationswürdig ist, davon sind wir bis heute überzeugt, weshalb wir das Projekt so gut es ging weiterführten», sagt Buj Reitze. Dank des Einsatzes des Teams und der Förderung durch verschiedene Stiftungen und Institutionen war es schliesslich möglich, die Publikation in reduzierter und angepasster Form fertigzustellen. «Damit der Inhalt aber eine Form erhält und daraus überhaupt ein Buch wird, muss dieser grafisch aufbereitet werden. Dieser Teil ist Annett Höland zu verdanken. Hätten wir mit ihr nicht unsere ‹Hausgrafikerin› im Team gehabt, wäre der Inhalt wohl auf ewig ein Textdokument geblieben. Darum bedanke ich mich beim Projektteam sehr herzlich für die grossartige Zusammenarbeit. Ein Dank gilt auch allen weiteren Beteiligten für ihre Geduld.»
Diese Geduld wurde am 26. August belohnt, als David-Johannes Buj Reitze, Annett Höland und Toni Büchel das fertige, 311 Seiten starke Produkt im Restaurant Specki in Schaan präsentieren durften. «Bis zuletzt war es eine Nervenprobe», sagt Buj Reitze rückblickend und mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen. «Mit dem Ergebnis bin ich aber mehr als glücklich. Besonders freut es mich, dass die grafische Übersetzung der Inhalte aus der Ausstellung so gut vermittelt ist. Es sind kleine Details, die durchwegs gelungen sind. Dazu gehören zum Beispiel die in der Ausstellung parallel zu den Erzählsträngen verlaufenden Grafiken zu Bevölkerungszahl, Erwerbstätigen, Weg- und Zupendelnden, die nun im Vorderschnitt des Buches zu sehen sind.»
Weitere Projekte in der Pipeline
Und trotz der Nervenprobe hat David-Johannes Buj Reitze die Motivation für weitere Projekte nicht verloren. «Die ‹edition danke, bitte, tschüss.› ist neben dem soeben erschienen Buch ein weiteres Ergebnis von ‹8 ½ Stunden sind kein Tag›. Es stehen schon einige Ideen für neue Projekte im Raum. Dabei können sie auch andere Formen als die eines Buches annehmen. Natürlich sind wir mit der ‹edition› auch am Austausch und neuen Zusammenarbeiten interessiert. Spruchreif ist allerdings noch nichts. Aber es gibt eine Website, das ist schon ein Anfang.» Er ergänzt schmunzelnd: «Natürlich freut es uns, wenn das Buch, das im Liechtensteiner Fachhandel, im Restaurant Specki, in der Okkult-Bar in Schaan, im Landesmuseum oder bei der Edition selbst erhältlich ist, unter dem einen oder anderen Christbaum liegt.»
Zum Inhalt von «8 ½ Stunden sind kein Tag»
Zeitreise durch drei Jahrhunderte – ein Lesebuch über Leben und Arbeit in Liechtenstein
Das Lesebuch über Lebens- und Arbeitsrealitäten in Liechtenstein seit 1719 bietet eine eindrucksvolle und zugleich ungewöhnliche Annäherung an die 300-jährige Geschichte des Fürstentums. Acht fiktive Figuren – Angi, Eva, Patrik, Ian, Joachim, Daniela, Poldi und Vanessa – führen als Schülerin, Lehrerin, Gewerbler, Arbeitssuchender, Verwaltungsangestellter, Industriearbeiterin, Landwirt und Finanzdienstleisterin durch die Geschichte. Ihre erfundenen Lebensgeschichten basieren auf historischen Gegebenheiten beziehungsweise Ereignissen und veranschaulichen, wie sich Alltag, Berufsbilder und gesellschaftliche Rahmenbedingungen im Lauf der Zeit verändert haben. Diese persönlichen Perspektiven schaffen Identifikation und eröffnen zugleich einen reflektierten Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen, die über das rein Faktische hinausgehen. Fragen wie «Welche Rahmenbedingungen hat Patrik als Zimmermeister vor 300 Jahren vorgefunden?» oder «Welche Möglichkeiten standen Eva als Lehrerin vor 150 Jahren offen?» werden in den Erzählungen greifbar gemacht.
Durch die Verbindung von erzählerischen Elementen mit historischen Kontexten gelingt es dem Buch, vergangene Lebens- und Arbeitsbedingungen und historische Veränderungen nahbar zu veranschaulichen. Dabei muss das Werk nicht chronologisch von vorne bis hinten gelesen werden – es eignet sich auch für eine Lektüre in kleinen Etappen. Die Leserschaft kann sich zudem etwa an bestimmten Personen oder Jahrzahlen orientieren. Manche entdecken bei der Lektüre ihnen möglicherweise bisher unbekannte Aspekte der Landesgeschichte, andere werden an Altbekanntes erinnert.
Der zweite Teil des Buches ergänzt die historischen Erzählungen durch aktuelle Beiträge in Form kurzer Artikel. Behandelt werden die Themen Care-Arbeit, Sexarbeit, Kulturschaffen und die Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Raumplanung in Liechtenstein und dem Alpenrheintal. So widmen sich Simona Isler und Anja Peter «Von einer Schicht zur nächsten: Der Arbeitstag einer Mutter» sowie Claudia Heeb-Fleck in «Der Hausmann: Das Pendant zur Hausfrau, ein Rollenwiderspruch oder neue Teilidentität?» der Care-Arbeit. Sebastian Sele beleuchtet in «Ausgetanzt: Sexarbeit in Liechtenstein» die Situation von Sexarbeiterinnen. Jürgen Schremser analysiert in seinem Beitrag «‹Arbeit, von der wenige wissen, und die doch alle angeht.› Drei Exkurse zum Kunstschaffen in Liechtenstein» die Entwicklung der künstlerischen Professionalität – mit Schwerpunkt auf bildender Kunst und Literatur. Johannes Herburger reflektiert in «Käse, Wein und die Verteilung von Wachstum: Was Arbeit mit Raumentwicklung zu tun hat.» über Arbeit, Raum, Industrialisierung und gesellschaftliche Ungleichheit – mit Fokus auf das Alpenrheintal.
Im Vergleich zum ersten Teil, gestaltet sich der Zweite dichter und auf textlicher Ebene stellenweise anspruchsvoll. Mit historischen Rückgriffen bauen die Autorinnen und Autoren eine Brücke in die Gegenwart und setzen Impulse zur Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen. Obwohl die Texte 2021 verfasst und recherchiert wurden, haben sie nach wie vor ihr Aktualität beibehalten. Sei dies mit Blick auf den Dauerbrenner der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Stichwort Elternzeit, und den damit einhergehenden Rollenverständnissen oder auf die sich derzeit in Ausarbeitung befindenden Kulturstrategie.
Fazit: Ein informatives und gut zugängliches Lesebuch, das historische Entwicklungen nachvollziehbar macht und zugleich aktuelle Diskurse aufgreift – geeignet für ein breites Publikum.







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