Zwischen 1859 und 1860 hatte Liechtenstein für kurze Zeit eine Regentin, als Fürstin Franziska vorübergehend die Regierungsgeschäfte für ihren Sohn Johann II. übernahm. In der liechtensteinischen Geschichtsschreibung geht dies gerne vergessen.
Text: Cornelius Goop, Liechtenstein-Institut
In der neuzeitlichen Geschichte Europas waren Frauen auf den Thronen der Herrscherhäuser keine derart grosse Seltenheit, wie es lange Zeit in der geschichtswissenschaftlichen Forschung dargestellt wurde. Im Gegenteil müssen gar nicht nur die ganz berühmten Herrscherinnen wie Isabella I. von Kastilien (reg. 1474–1504), Maria Theresia von Österreich (reg. 1740–1780) oder die britische Königin Victoria (reg. 1837–1901) bemüht werden, um die historische Bedeutung weiblicher monarchischer Herrschaft hervorzuheben. Stattdessen ist es auch erkenntnisreich, lange als Sonderfälle oder reine Marginalien abgestempelte Herrschaftsformen wie die zeitlich begrenzten Einsätze von Frauen als Herrscherinnen in den Blick zu nehmen. Gerade die sogenannte Regentschaft, also die zeitweise Übertragung von Herrschaftsrechten, zum Beispiel bei Abwesenheit, Unfähigkeit oder Minderjährigkeit des Herrschers, war häufig mit weiblicher Machtausübung verbunden. Ein solcher Fall von Regentschaft findet sich mit Fürstin Franziska (1813–1881) auch für Liechtenstein.
Gräfin Franziska Kinsky von Wchinitz und Tettau wurde 1813 in Wien geboren. Sie heiratete auf den Tag genau an ihrem 18. Geburtstag, am 8. August 1831, den liechtensteinischen Thronfolger Alois, der ab 1836 als Fürst Alois II. von Liechtenstein regierte. Zwischen 1834 und 1853 gebar sie neun Töchter und zwei Söhne, darunter die beiden zukünftigen Fürsten Johann II. und Franz I.
Fürst Alois II. starb am 12. November 1858, worauf ihm sein ältester Sohn Johann als Fürst nachfolgte. Nach den Plänen der Fürstinmutter Franziska und des fürstlichen Beraters Justin von Linde sollte Johann seine Ausbildung aber vor dem Regierungsantritt noch abschliessen. So übernahm Franziska zwischen dem 10. Februar 1859 und dem 2. November 1860 stellvertretend die Regierungsgeschäfte – womit Liechtenstein zum ersten und einzigen Mal in seiner Geschichte eine Regentin hatte. Die politischen Zeiten waren turbulent, da im Fürstentum drängende Forderungen nach einer konstitutionellen Verfassung gestellt wurden. Weil die Fürstin, auch auf Anraten Lindes, ihrem Sohn in dieser Sache keine zukunftsentscheidenden Beschlüsse vorwegnehmen wollte, erschien ihre Regentschaftszeit im Rückblick eher als Phase der Stagnation. Dennoch wurden zwei wichtige Reformen durchgeführt, die zum Teil alte Forderungen der Revolution von 1848/49 einlösten: 1859 wurde die Ablösung der Grund- und Erblehenzinse, 1860 des sogenannten Vogelmolkens, einer Alpabgabe, ermöglicht. Im Übergangscharakter dieser rund anderthalb Jahre mag ein Grund liegen, warum die Regentschaft Franziskas im öffentlichen Bewusstsein schwach verankert blieb. Als zentrales Beispiel für die weibliche Seite der Monarchie kann sie dennoch nicht nur als Episode gelten.