Mutterschaft und Vaterschaft sind keine Krankheit

Von der Finanzierung über die Taggeldversicherung rät der Krankenkassenverband ab

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige sind gesetzliche Anpassungen notwendig. Vorneweg sei festgehalten, dass der Liechtensteinische Krankenkassenverband (LKV) Anpassungen im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und einer Chancengleichheit unterstützt, erachtet aber mit der aktuellen Vorlage den Solidaritätsgedanken im Bereich Mutter-/Vaterschaft nicht ausreichend berücksichtigt.

Die angestrebten Änderungen beinhalten unter anderem eine Vergütung der Vaterschaftszeit sowie einen Teil der Elternzeit. Der Fokus dieser Mitteilung betrifft die Bereiche Mutter- und Vaterschaft, da diese über die Taggeldversicherung geregelt wird bzw. werden soll. Hierzu hat der LKV eine Stellungnahme zum Vernehmlassungsbericht im März 2023 eingereicht und bereits damals eine Pressemitteilung veröffentlicht. Im März dieses Jahres soll im Landtag die entworfene Gesetzesvorlage diskutiert werden.

Finanzierung der Mutterschaft/Vaterschaft über die Taggeldversicherung
In Liechtenstein gehört die Taggeldversicherung zu den obligatorischen Sozialversicherungen (anders in der Schweiz). Sie erbringt Krankengeldleistungen bei ärztlich bescheinigter, krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Die dafür benötigten Beiträge werden betriebsindividuell durch die Krankenversicherungen festgelegt und mit den Arbeitgebern vereinbart. Ebenfalls im Unterschied zur Schweiz werden in Liechtenstein auch Mutterschaftsgelder über die Tag-geldversicherung entrichtet. In der Schweiz werden Mutterschaftsgelder, ebenso wie Erwerbsausfälle von Militär- oder Zivildiensten über die sogenannte Erwerbsersatzordnung (kurz EO) versichert und über die Ausgleichskassen, zusammen mit den Beiträgen für die AHV/IV, erhoben (Arbeitgeber und Arbeitnehmer je 0.25%).

Mutter- und neu auch Vaterschaft gelten in Liechtenstein als Krankheit

Anders ausgedrückt werden in Liechtenstein Mutter- und Vaterschaft, gemäss aktueller Vorlage, weiterhin und fälschlicherweise wie eine Krankheit behandelt. Die Finanzierung soll auch zukünftig über die Taggeldversicherung abgewickelt werden – davon rät der LKV nach wie vor eindringlich ab. Der Begründung der Regierung, dass eine Systemänderung die Vorlage überfrachten würde, wird entschieden entgegengehalten. Eine einheitliche Handhabung aller Fa-milienausgleiche – Mutterschaft, Vaterschaft und Elternzeit – würde das System auch administrativ deutlich entlasten und vereinfachen. Da die Familienausgleichskasse (FAK) ohnehin im Rahmen der Finanzierung der Elternzeit angegriffen wurde, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, alles rund um die Mutterschaft aus der Taggeldversicherung rauszunehmen und richtig aufzu-setzen.

An dieser Stelle sei nochmal betont, wie wichtig die Einführung eines ATSG (Gesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts) ist. Die Notwendigkeit wird zwar von allen Seiten bestätigt, ist bis jetzt aber eine Pendenz geblieben. Die Einführung eines ATSG würde zu einer einheitlichen Begriffsterminologie führen, welche z.B. auch verhindern würde, Mutterschaft in die Kategorie «Krankheit» zu subsumieren. Das ATSG ist im Grunde genommen die «Rechtschutzversicherung» im Sozialversicherungsbereich für Versicherte und Versicherer. Es steckt klar ab, was zulässig ist und was nicht. Das Fehlen eines ATSG mündet beispielsweise in folgender Paradoxität: Gemäss der Vorlage kann sich die Mutterzeit aufgrund eines Spitalaufenthaltes des Kindes bis 28 Wochen verlängern. Es stellt sich in der Folge die Frage, ob diese Leistung dann auch als Krankheit der Mutter anzusehen ist? Ein weiteres Problem ist, dass heute u.a. Streitigkeiten von Richtern und Juristen beurteilt werden, deren Haupttätigkeit in einem anderen Rechtsgebiet liegt, was mit einem ATSG ebenfalls behoben werden könnte und sollte.

Es gilt zu beachten:

Die Begleichung von Mutterschafts- wie auch von Vaterschaftsgeldern über die Taggeldversicherung hat verschiedene Nachteile: Steigende Prämien – Solidaritätsgedanke verfehlt.
Neben den in den letzten Jahren ohnehin schon steigenden längeren, krankheitsbedingten Arbeitsausfällen führt die in dieser Vorlage vorgesehene Finanzierung der Vaterschaftszeit, Taggelder während des unbezahlten Elternurlaubs (wegen Krankheit), aber beispielsweise auch die Verlängerung der Mutterschaftszeit im Falle von längeren Spitalaufenthalten von Neugeborenen unweigerlich zu weiteren Taggeldansprüchen und dadurch zu Erhöhungen der Taggeldprämien.

Es ist wichtig zu verstehen, dass sich eine Taggeldprämie anders zusammensetzt als ein fixer Prozent-Abzug bei der FAK. Die Taggeldprämie basiert auf dem Kollektiv der jeweiligen Versicherung und der Betriebe. Nur grosse Unternehmen sind komplett selbstfinanziert. Bei kleineren/mittleren Betrieben erfolgt die Finanzierung als Kollektivgemeinschaft und unter Berücksichtigung des jeweiligen Schadenverlaufs. Sie ist also beispielsweise abhängig davon, welche Personengruppen im Unternehmen angestellt sind und wie oft die Taggeldversicherung beansprucht wird. Die Mutterschaftsprämie würde pro Kasse auch unterschiedlich ausfallen. Eine wirkliche Solidarität kann nur erreicht werden, wenn das Mutterschaftsrisiko über alle (Versicherer und Unternehmen) verteilt würde – das ist über eine Taggeldversicherung, so wie sie sich heute zusammensetzt, nicht möglich.

Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe

Die Taggeldprämien werden aktuell hälftig vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt. Im Umkehrschluss bedeutet eine Erhöhung der Prämien auch zusätzliche Lohnnebenkosten für die betroffenen Betriebe, insbesondere für kleinere Betriebe und Betriebe mit tiefen Warte-fristen.
Wir hinterfragen insbesondere die Anpassungen basierend auf der DpL-Motion, dass die Prämienbeiträge der Mutterschaftsgelder getrennt von den anderen Taggeldern festzulegen sind und Betriebe mit Wartefristen von mehr als 5 Monaten keine Prämien entrichten sollen. Den Grundgedanken einer Neuregelung bei Mutterschaft sowie eine solidarische Finanzierung wird auch seitens des LKV begrüsst. Allerdings erachten wir die vorgesehene Lösung als nicht zielführend, obschon uns bewusst ist, dass auf Basis der eingereichten Motion der Umsetzungsrahmen stark eingeschränkt war. Wir schliessen uns diesbezüglich der Anmerkung der Regierung an, dass durch die Umsetzung der Motion das Kollektiv verkleinert wird und die Prämien für die verbleibenden Betriebe höher ausfallen werden. Dabei handelt es sich erneut primär um kleinere Betriebe, welche sich längere Wartefristen weniger leisten können. Wie von der Regierung richtig angemerkt, bleibt kleinen Betrieben mit weiblichen Angestellten, aber bei-spielsweise auch selbständige Mütter mit eigener Firma, die Wahl zwischen hohen Prämien oder als Firma die Mutterschaftsgelder selbst zu bezahlen (durch 5-monatige Wartezeiten). Das Ziel einer ursprünglich beabsichtigten Solidarität kann dadurch nicht erreicht werden – im Gegenteil.

Abbau der Chancengleichheit

Sollten künftige Familienleistungen weiterhin an Krankengeldversicherungen zu entrichten sein, wird weiterhin nicht nur die Mutterschaft an sich, sondern künftig auch die Vaterschaft, als Krankheit definiert, was augenscheinlich falsch ist. Hier zeigt sich erneut, dass eine einheitliche Begriffsterminologie unabdingbar ist und ebenso zu regeln wäre. Wir weisen darauf hin, dass eine falsche Handhabung in der Vergangenheit nicht der vermeintlichen Einfachheit halber falsch fortgeführt werden sollte.
Die Regelung von Mutterschaftsleistungen brachte bereits in der Vergangenheit Nachteile bei kleineren Betrieben mit sich, da sich eine Mutterschaft zum Teil merkbar in der Taggeldprämie niedergeschlagen hat. Die Umsetzung der DpL-Motion würde dies sogar verstärken. In der vorgelegten Fassung wäre es auch für Versicherer nicht attraktiv, «frauenlastige» Betriebe zu versichern. Das wäre eine Richtung entgegen der Chancengleichheit.

Administrativaufwand

Die angedachte Finanzierung bringt einerseits eine unverhältnismäßig grosse Systemanpassung bei den Krankenversicherungen mit sich, andererseits gilt es, die Herausforderung des Koordinationsbedarfs zwischen den einzelnen Kostenträgern (Krankenversicherung und Familienausgleichskasse) zu regeln. Ein Beispiel ist, dass berechtigte Familien die Auszahlungen neu von unterschiedlichen Stellen erhalten sollen und die Finanzierungen auch unterschiedlich berechnet werden (unterschiedliche Lohngrundlagen, Mutterzeit in Wochen, Elternzeit in Monaten, Vaterzeit mit Berücksichtigung von Feiertagen usw.).

Lösungsvorschlag
Die Problematik wurde seitens des LKV bereits mehrfach an die Regierung herangetragen. Auch in der Stellungnahme im vergangenen Jahr hat der LKV einen Lösungsvorschlag präsentiert und hält an diesem weiterhin fest. Der Vorschlag beinhaltet eine zukünftige Finanzierung und Abwicklung der Mutter- und Vaterschaftsleistungen über die Familienausgleichskasse (FAK). Insbesondere unter Anbetracht der Tatsache, dass auch die Elternzeit über die FAK finanziert werden soll, wäre nun die ideale Gelegenheit, dies zu vereinheitlichen und zu vereinfachen anstatt zu verkomplizieren.
Die Krankenkassen sind nach wie vor gerne bereit, hier ihre Mitwirkung anzubieten, wie dies bereits bei COVID-19-Taggeldern der Fall war. Damals hat der Staat die Leistungen finanziert und die Krankenversicherungen haben diese über das bereits bestehende und bestens funktionierende Krankengeldsystem abgewickelt. Eine solche Handhabung wäre auch in diesem Fall weiterhin möglich.
Liechtensteinischer Krankenkassenverband (LKV), Sara Risch / Angela-Livia Amann