«300 Jahre Liechtenstein sind auch 300 Jahre Aussenpolitik»

Mit einer Vortragsreihe und dem Aussenpolitischen Bericht an den Landtag kam Regierungsrätin Aurelia Frick dem Wunsch nach, breiter über die Aussenpolitik zu sprechen. Dabei wurde rasch klar: 300 Jahre Liechtenstein bedeuten auch 300 Jahre geschickte Interessenspolitik.

Frau Regierungsrätin, Liechtenstein feiert 2019 sein 300-jähriges Bestehen. Welche Bedeutung kam der Aussenpolitik in den Anfängen dieser langen Erfolgsgeschichte zu?
Aurelia Frick:
Ich habe mich gefragt, ob 300 Jahre Liechtenstein auch 300 Jahre Aussenpolitik bedeuten. Und ja, ich denke, man kann es tatsächlich so zusammenfassen. Vor 300 Jahren – in Wien am Kaiserhof – war die diplomatisch-militärische Tätigkeit des Fürsten zwar noch keine Aussenpolitik im heutigen Sinne.  Aber wenn man so will, ist es schon damals darum gegangen, ein eigenständiges Fürstentum zu erhalten und sich einen Platz innerhalb des Reiches zu sichern. Es ging um eigene Interessen, Macht und um Bündnisse zwischen Ländern – und das ist es eigentlich, was Aussenpolitik im Wesentlichen ausmacht. Auch heute noch.

Während zehn dieser 300 Jahre haben Sie die liechtensteinische Aussenpolitik hauptverantwortlich gestaltet. Was waren für Sie die Höhepunkte in dieser Zeit?
Das ist eine schwierige Frage, weil ich sie nicht abschliessend beantworten kann. Es gab tatsächlich sehr viele Höhepunkte, intensive Zeiten, erfolgreiche Projekte, aber auch beängstigende Momente, in denen ich dachte, dass es sehr schwierig werden wird, Liechtensteins Position zu vertreten und doch ist es am Ende gut herausgekommen. Ich denke da beispielsweise an mein Treffen mit dem damaligen deutschen Aussenminister Guido Westerwelle im Jahr 2012. Es war das erste Treffen nach einer langen Zeit der Funkstille zwischen Liechtenstein und Deutschland. Wir haben uns sehr gut unterhalten und es war der Start einer engen Freundschaft. Sein viel zu früher Tod hat mich sehr bewegt.

Und welches sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Meilensteine in den gesamten drei Jahrhunderten liechtensteinischer Aussenpolitik?
Das sind auf jeden Fall die Gründung des Fürstentums Liechtenstein vor 300 Jahren, die Aufnahme in den Rheinbund 1806 und damit die Sicherung der Souveränität, der Beitritt zum EWR und der Beitritt zur UNO. Wenn wir von Meilensteinen in der liechtensteinischen Geschichte sprechen, darf man aber auch 1984 nicht vergessen. Für mich ist die Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1984 ein politischer Höhepunkt ganz unabhängig davon, ob es um Aussen- oder Innenpolitik geht.  

Aussenministerin Aurelia Frick zusammen mit I.D. Botschafterin Maria-Pia Kothbauer an einem OSZE-Treffen in Wien im März 2019.

Liechtenstein ist heute Teil des vereinigten Europas und gleichzeitig eng an die Schweiz angelehnt, die das Land auch in diplomatischer Hinsicht in weiten Bereichen vertritt. Braucht ein so eingebundener Kleinstaat im 21. Jahrhundert überhaupt eine eigene Aussenpolitik?
Jetzt bringen Sie mich zum Schmunzeln. Als Aussenministerin muss ich diese Frage natürlich mit einem Ja beantworten. Gerade im Ausland werde ich oft gefragt, wie Liechtenstein die vergangenen Jahrhunderte auf der Landkarte überlebt hat. Tatsächlich hat unser Land die vergangenen 300 Jahre schadlos überstanden – innerhalb von den immer gleichbleibenden Grenzen. Das haben nur ganz wenige Länder in Europa geschafft. Jetzt kann man natürlich sagen: Alles nur eine Sache des Glücks. Wir können die Existenz, den Erhalt und die Unabhängigkeit Liechtensteins aber nicht auf blosses Glück reduzieren. Viele Faktoren haben eine Rolle gespielt, dass Liechtenstein als Kleinstaat über drei Jahrhunderte hat unabhängig bleiben können. Sicher ist, dass Liechtenstein seine Souveränität zu einem grossen Teil einer umsichtigen, vorausschauenden und einer aktiven, aber auch einer mutigen Aussenpolitik zu verdanken hat. 

Eine ketzerische Frage: In der Verfassung heisst es sinngemäss, der Fürst als Staatsoberhaupt vertrete das Land gegen aussen. Benötigt Liechtenstein dann überhaupt ein Aussenministerium?
Der Fürst vertritt Liechtenstein gegen aussen als höchster politischer Vertreter. Das ist richtig. Aber es liegt auf der Hand, dass das Staatsoberhaupt nicht alles alleine machen kann. Als Aussenministerin spreche ich mich mit dem Erbprinzen ab. Manchmal reisen wir gemeinsam. Zum Beispiel waren wir Ende des letzten Jahres zusammen in Südkorea. Aussenpolitik betreibt übrigens nicht nur das Aussenministerium mit dem Amt für Auswärtige Angelegenheiten, den Botschaften, Missionen und Honorarkonsulaten. Aussenpolitik betreiben auch die aussenpolitische Kommission im Landtag und andere Landtagskommission, aber auch die Gemeinden des Landes. Am Ende sind wir alle Botschafter des Landes, sobald wir unsere Grenzen überqueren – und das ist bei uns halt wirklich schnell passiert. 

Im vergangenen Herbst waren die Reise- und Repräsentationsspesen des Aussenministeriums Gegenstand einer Debatte im Landtag und auch in der Öffentlichkeit. Wie viel lässt sich Liechtenstein seine Diplomatie tatsächlich kosten?
Die Frage aller Fragen! Liechtenstein gibt jährlich 43 Millionen Franken für Aussenpolitik aus. Dies ist der Betrag aus dem Finanzbericht der Regierung. 

«Tatsächlich hat unser Land die vergangenen 300 Jahre schadlos überstanden – innerhalb von immer gleichbleibenden Grenzen.»

Aurelia Frick,
Aussenministerin

 

Was ist in dieser Summe alles enthalten und welchen Nutzen zieht das Land aus diesen Ausgaben?
In diesen 43 Millionen ist alles inbegriffen – also auch die Ausgaben an die IHZE, den LED oder andere Organisationen, zum Beispiel an den EWR. Der Personalaufwand, die Reisekosten, die Botschaften machen dabei den kleinen Teil aus – total elf Millionen Franken. 43 Millionen sind etwas mehr als 5 Prozent von den 800 Millionen, die der Staat insgesamt braucht. Und die elf Millionen sind 1,4 Prozent davon.

Was nutzt denn die Aussenpolitik ganz konkret?
Es geht in der Aussenpolitik immer um die Interessen des eigenen Landes. Es geht um die Wahrung dieser Interessen. Und zwar in erster Linie! Es geht darum, dass es uns im Liechtenstein gut geht. Dass wir in Sicherheit leben können, dass wir erfolgreich wirtschaften können, dass wir uns frei bewegen können. Es geht zum Beispiel ganz konkret darum, dass wir in der Schweiz oder in Österreich einkaufen können, dass wir den Schweizer Franken als Währung haben, dass unsere Unternehmen dank Freihandelsabkommen mit der ganzen Welt vernetzt sind, dass wir Liechtensteiner jährlich Waren im Wert von 3,3 Milliarden Franken exportieren, auch dass junge Menschen nach der Schule frei in Europa und der Welt herumreisen können und dass sie sich in ihrer Wunschuniversität irgendwo auf der Welt einschreiben dürfen … 

Wie beurteilen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Aussenministeriums und der diplomatischen Mitarbeiter?
Diese Beurteilung müssen die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner machen. Mich freut aber besonders, dass sich die Menschen dafür interessieren. In den Gesprächen haben sie gesehen: Wir sind schlank aufgestellt und konzentrieren uns auf wenige Kernthemen, welche für Liechtenstein eine grosse Bedeutung haben.

Migrationsdruck, Brexit, Europa-Skepsis und vieles mehr. Der gesamte Kontinent steht vor grossen Herausforderungen. Welches sind Ihrer Überzeugung nach die grössten und wie kann die Politik sie bewältigen?
Zu den grössten Herausforderungen zählt für mich, einen Weg zu finden, um unsere enge Integration in Europa weiterzuentwickeln. Um all das, was wir bisher erreicht haben, zu erhalten. Die Welt ist heute wirklich eine andere als noch vor 300 Jahren. Alles ist viel schneller geworden. Veränderungen passieren von heute auf morgen. Vieles ist bis vor kurzem noch selbstverständlich gewesen und jetzt braucht es unseren vollen Einsatz. Ich beobachte zum Beispiel die Rückkehr von Nationalismus und Grossmachtpolitik mit Sorge. Sie bedrohen den Multilateralismus und all die Werte, die für uns seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wichtig sind. Abschottung hilft nicht, um die heutigen Probleme zu lösen, ganz im Gegenteil.

Worin sehen Sie die Kernaufgaben der Liechtensteiner Aussenpolitik in der näheren Zukunft und in den kommenden 300 Jahren?
Vieles was schon vor 300 Jahren wichtig war, ist nach wie vor zentral für unsere Aussenpolitik. Gute Vernetzung, Freundschaften und Allianzen – das bildet das Rückgrat für eine starke Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als Partner. Wir profitieren heute, wenn wir in guten Zeiten feste Seilschaften bilden, die halten dann auch in schlechteren Zeiten. Dabei spielen auch unsere Nachbarn eine wichtige Rolle. Die Schweiz, Österreich und Deutschland. 

Sie haben kürzlich einen Vortrag mit dem Titel «300 Jahre liechtensteinische Aussenpolitik – ausser Spesen nichts gewesen?» gehalten. Mit Fragezeichen wohlgemerkt. Wie lautet Ihr Fazit?
Mein Fazit war schon vor dem Vortrag klar. Wir müssen uns fragen, ob wir uns Aussenpolitik leisten können. Das ist richtig. Aber viel mehr müssen wir uns fragen, ob wir uns KEINE Aussenpolitik leisten können.

Aussenministerin Aurelia Frick unterzeichnet zusammen mit der Schweiz ein Handelsabkommen mit Grossbritannien, das im Falle eines Brexit die
wirtschaftlichen Interessen Liechtensteins und der Schweiz schützt. (Bild Peter Klaunzer)