Reuse & Upcycle

Reuse & Upcycle – Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur

Die Auswirkungen des Klimawandels und der zerstörerischen Ausbeutung der Umwelt machen einen Paradigmenwechsel im Ressourcenverbrauch unumgänglich. Der Verbrauch endlicher Ressourcen und Landreserven muss zur Ausnahme, die Wiederverwendung und Nachverdichtung von baulichen Strukturen zur Regel werden.

Fortschreitendes Wachstum und steigender Lebensstandard fördern eine ressourcenintensive, wenig nachhaltige Bau- und Abrisswirtschaft.Architekten und Forscher haben die Verantwortung, zu reagieren, ihre Aufgaben zu überdenken und die Herausforderungen als Chance wahrzunehmen. Der Fokus auf das Bauen im und mit dem Bestand eröffnet dabei die Möglichkeiten, neue Architektur und Siedlungsräume zu generieren und Wertschöpfung durch neue Berufs- und Geschäftsmodelle zu schaffen.

Lernen aus der Geschichte
«Reusing & (Up-)Cycling» in der Architektur ist keine neumodische Erfindung der heutigen Zeit. Die Geschichte des Bauens war immer auch eine Geschichte der Wieder- und Weiterverwendung – erstens von Baumaterialien und Bauteilen, zweitens von Baustilen und Bauwissen. Gebäude waren Langfristprodukte, bei Pflege und Weiterentwicklung für die Ewigkeit bestimmt, und Ruinen wurden schliesslich zu Bauteillagern und Materialspendern. Die Aufwertung durch Wiederverwendung materieller und kultureller Nachlässe war keine Frage von Idealismus, sondern von Ressourcen und Ökonomie.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung dieser historischen Konzepte ist Schloss Vaduz: Die Teilruine, ein vom Zerfall bedrohtes Palimpsest verschiedenster Bauphasen, wurde zwischen 1905 und 1914 zum heutigen Fürstensitz aus- und weitergebaut. Unter der Aufsicht des Bauherren Fürst Johann II., Graf Hans von Wilczek und Hofrat Franz von Wieser wurde der Baubestand zum einen mit neuen Ideen und Wünschen, zum anderen mit vorgefundenen Bauweisen und Kunsthandwerken erweitert. Alt und Neu wurden so zu einem neuen Ganzen verschmolzen – so geschickt, als wäre das Gesamtwerk direkt aus dem Mittelalter herausgefallen. Die Berücksichtigung vorhandener Ressourcen und (Ge-)Schichten stand hier nicht im Widerspruch zur Erneuerungsaufgabe, sondern generierte im Wechselspiel zwischen Bauforschung und Entwurf eine neue, eigenständige Architektur. Schloss Vaduz zeigt: Der Bestand ist weder unantastbar noch stiller Hintergrund, sondern der Stoff, aus dem Neues entstehen kann.

Baubestand als Stoff für Neues
Zur Entwicklung des Baubestandes lässt sich heute festhalten: 1. Nutzungsanforderungen unterliegen einem raschen Wandel. Je schneller der gesellschaftliche und technologische Wandel verläuft, desto höher der Anteil an Bauten, die ihre Funktion bald wieder verlieren. 2. Moderne Baustoffe und Bautechnologien sind nicht so robust wie herkömmliche Baumaterialien. Je geringer die Haltbarkeit neuer Baustoffe, desto früher und grösser ist der Erneuerungsbedarf. 3. Der Baubestand wächst nach wie vor, die Landreserven nehmen ab. Somit werden die schon bebauten Areale die Grundlage für Neues.

Bauliche Hinterlassenschaften – meist im Zuge von Strukturwandel zurückgelassene Relikte – finden sich überall im Siedlungsraum, ob als kleinere Ablagerungen in Form von ungenutzten Transformatorentürmen, geschlossenen Dorfläden und stillgelegten Festungsbauten oder im Flechtwerk ganzer Siedlungsstrukturen aus der Nachkriegszeit. Man kann davon ausgehen: Der Anteil an architektonischen und bauplanerischen Aufgaben in und mit dem Baubestand wird in Zukunft steigen. Je früher die Architekten und Forscher reagieren, desto höher ist die Innovationskraft und Nachhaltigkeit ihrer Planung und desto niedriger sind die Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft. Wichtige Themenfelder für die Ausbildung, Wissenschaft und Wirtschaft im Bauwesen werden deshalb die Objekterfassung, d. h. die Entwicklung neuer Methoden und Techniken zur effizienteren Vermessung, Darstellung und Bewertung des Baubestandes sowie die Ressourcenrückführung mit neuen Berufs- und Geschäftsmodellen in der Rückbauplanung, Rückbauwirtschaft und im Ressourcenhandel.

Neue Forschungsfelder in der Architektur
Die Erfassung und Bewertung des Baubestandes und das Ausloten neuer Ansätze zur Wieder- und Weiterverwendung werden im Zentrum der Arbeit zukünftiger Architektinnen und Architekten stehen und müssen einen entsprechend hohen Stellenwert in der Ausbildung einnehmen. Das Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein möchte mit zusätzlichen Forschungsprojekten und neuem Lehrangebot darauf reagieren. Ein neues Lehrkonzept wird ab 2019 den Bereich «(Up-)Cycling» zu einem von drei Schwerpunkten in der Architekturausbildung machen. Zwei Symposien unter dem Titel «Reuse & Upcycle – Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur» ergänzen das gleichnamige Jahresthema um herausragende Positionen aus Praxis und Forschung. Die Symposien sind öffentlich und dienen den Studierenden, Forschenden und Interessierten dazu, fachlichen Input zu erhalten und sich auszutauschen.

Nachmittagssymposium «Reuse & Upcycle» in Deutsch & Englisch
Donnerstag, 08. November 2018, 13.30 Uhr
Donnerstag, 07. März 2019, 13.30 Uhr
Kontakt: daniel.stockhammer@uni.li