Interview mit S.D. Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein

Es gehört seit einigen Jahren zur Tradition, dass sich die liechtensteinische Zeitschrift «lie:zeit» mit dem Durchlauchten Landesfürsten sowie mit S.D. Erbprinz Alois jährlich vor dem Staatsfeiertag und zum Jahreswechsel trifft. Bei dieser Gelegenheit geben sowohl unser Staatsoberhaupt als auch sein Stellvertreter Auskunft über aktuelle Fragen, die unsere Bevölkerung betrifft. Wir haben uns mit S.D. dem Erbprinzen getroffen. Seine Ausführungen zu den Themenbereichen sind neu und sehr interessant.  

Text: Herbert Oehri  ·  Fotos: Oliver Hartmann

 

lie:zeit: Durchlaucht, In Ihrer Staatsfeiertagsrede 2017 sprachen Sie u. a. aufgrund unserer grossen politischen und wirtschaftlichen Stabilität davon, dass wir heute die Zukunft nach unserem eigenen Tempo gestalten können. Wie würden Sie diese – unsere – Zukunftsgestaltung definieren?
S.D. der Erbprinz: Wir können unsere Zukunft durch Massnahmen auf staatlicher Ebene, auf Ebene der Unternehmen und auch auf privater Ebene gestalten. Auf staatlicher Ebene sollten wir dabei eine langfristige Perspektive einnehmen, bei der nicht eine Generation zulasten einer anderen benachteiligt wird und bei der ein jeder die Chance erhält, sich aus eigener Tatkraft eine attraktive Zukunft zu gestalten. Auch auf Ebene der Unternehmen und auf privater Ebene sollten wir bei der Entwicklung der Produkte und Dienstleistungen, bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, bei unserer Spendentätigkeit, bei der Erziehung unserer Kinder und der Pflege unserer Familienangehörigen sowie der ehrenamtlichen Tätigkeit und Freiwilligenarbeit das langfristige Wohl unserer Bevölkerung bedenken.

Thema Generationengerechtigkeit: Welche Reformen in den Bereichen Altersvorsorge, Gesundheitsvorsorge und Pflege sind nötig, um inskünftig die Generationengerechtigkeit sicherzustellen?
Im Bereich der Altersvorsorge und der Pflege sollten wir zur Sicherstellung der Generationengerechtigkeit die Vorsorgesysteme dahingehend weiterentwickeln, dass die sich ändernden Rahmenbedingungen – insbesondere bei der Lebenserwartung – durch die Systeme automatisch berücksichtigt werden. Einige skandinavische Staaten kennen in dieser Hinsicht interessante Ansätze. Bei der Gesundheitsvorsorge sollten wir durch zusätzliche Reformen vor allem die Anreizwirkungen unseres Gesundheitssystems verbessern.

Die Bildung ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Wie können wir das Bildungssystem weiter optimieren?
Wir sollten unser Bildungssystem flexibler und dezentraler ausgestalten, damit sich die Schulen einerseits besser an den Bedürfnissen der Eltern und Schüler orientieren und andererseits den Lehrern grössere Spielräume geben können. Dazu benötigt es mehr Schulautonomie und Wahlfreiheit zwischen den Schulen bzw. eine Abschaffung der Schulbezirke sowie Anpassungen bei der Bildungsfinanzierung. Damit alle Eltern eine Schule nach Qualitätskriterien auswählen können, sollten ausserdem die Messungen bzw. die veröffentlichten Informationen hinsichtlich ihrer Anreizwirkungen zur Förderung von mehr Bildungsqualität genau durchdacht werden. Diese Messungen sollten sich dabei auf das Notwendige beschränken, um den Schulbetrieb nicht unnötig zu belasten.

Thema Bürokratieabbau: Sie sind seit jeher für einen Abbau der Bürokratie – vornehmlich in der Landesverwaltung – eingetreten. Wie kann das bewerkstelligt werden, wenn wir davon ausgehen, dass die Aufgaben für den Staat immer grösser werden?
Ähnlich wie ein gut geführtes Unternehmen immer wieder seine Prozesse hinterfragt und diese im Kontext sich ändernder Rahmenbedingungen und neuer technischer Möglichkeiten ständig optimiert, sollte meiner Ansicht nach auch im staatlichen Bereich immer wieder neu geprüft werden, welche Aufgaben der Staat überhaupt wahrnehmen soll und wie er diese Aufgaben am besten erfüllen kann. 

Der Staat kann seine Aufgaben entweder nur als Regulierer oder auch als Finanzier oder sogar als Leistungserbringer wahrnehmen. Auch wenn in einer hoch entwickelten Gesellschaft die Aufgaben für den Staat tendenziell immer grösser werden, sollte zumindest durch ein konsequentes Arbeiten in allen drei genannten Bereichen das Anwachsen der Bürokratie bekämpft werden. Nicht alles, was der Staat heute reguliert, ist unbedingt notwendig. Zwar müssen wir durch Zollvertrag und EWR auch vieles regeln, was nicht unbedingt immer notwendig wäre, wir haben aber durchaus noch Gestaltungsspielräume, die in nächster Zeit z. B. bei der Reform des Gewerbegesetzes genutzt werden könnten. Auch im Bereich der Leistungserbringung ergeben sich immer wieder neue Möglichkeiten. Früher haben z. B. die meisten Staaten Telefoniedienste durch eigene Leistungserbringer angeboten, heute geschieht dies grösstenteils viel erfolgreicher durch private Anbieter.

Die Weltwirtschaft ist im Umbruch. Wie stehen Sie zur Digitalisierung?
Die Digitalisierung ist eine Entwicklung, die einerseits mit grossen Chancen, andererseits aber auch mit grossen Risiken verbunden ist. Liechtenstein befindet sich dank seiner gut ausgebildeten Bevölkerung und seiner hoch entwickelten Wirtschaft in einer starken Position, um die Chancen zu ergreifen und die Risiken zu vermeiden. Daher sehe ich die Digitalisierung für unser Land vor allem positiv. Um die Risiken niedrig zu halten, müssen wir aber primär unser Bildungssystem weiter verbessern, damit die Bevölkerung möglichst rasch und flexibel auf die sich ständig weiterentwickelnden Anforderungen optimal vorbereitet werden kann. Ansonsten gilt es vor allem die regulatorischen Rahmenbedingungen und die technische Infrastruktur im Hinblick auf die Digitalisierung weiter zu stärken.

«Zu den grössten Problemfeldern gehören meiner Meinung nach derzeit die Angriffe auf den Freihandel, der Klimawandel und die Konfliktherde inklusive den damit verbundenen Flüchtlings- und Migrationsströmen.»

Die «Stiftung Zukunft.li» hat in einer jüngeren Studie Potenzial zur stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden geortet, nicht jedoch einen aktuellen Bedarf an Gemeindefusionen. Nach Darstellung der Stiftung könnten die Gemeinden jährlich viele Millionen Franken einsparen. Wie denken Sie darüber?
Auch ich sehe Einsparpotenzial durch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden. Das Einsparpotenzial durch Gemeindefusionen beurteile ich hingegen eher als gering. Die Beispiele aus der Praxis in anderen Staaten haben meistens wesentlich geringere Einsparungen gebracht, als zuerst angenommen wurde.

 

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Im Gesundheitswesen polarisiert die Spitalfrage. Die Medicnova ist in Konkurs gegangen, und beim Landesspital herrscht ebenfalls Geldnot. Auch gibt es einige Personen in Liechtenstein, denen die angrenzenden Spitäler durchaus reichen würden. Was ist Ihre Meinung bzw. Ihr Vorschlag zu diesem Thema?
Angesichts der Spitaldichte in unserer Region benötigt Liechtenstein nicht unbedingt ein eigenes Spital. Lange Zeit hatten wir ja auch kein eigenes Spital. Ein Landesspital kann dann sinnvoll sein, wenn die Leistungen aufgrund ihrer Qualität durch die Bevölkerung dauerhaft nachgefragt werden und aus einer gesamtwirtschaftlichen Sicht die Rechnung positiv ausfällt. Meiner Meinung nach müsste das Landesspital sein Leistungsangebot in diese Richtung entwickeln, wenn es langfristig erfolgreich sein will.

Stichwort Aussenpolitik: Der Brexit hat die EU hart getroffen. Glauben Sie, dass der Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union am Ende doch durchgezogen wird, oder gibt es ein zurück?
Aus heutiger Sicht bezweifle ich, dass der Austritt zurückgezogen wird. Zwar gibt es in Grossbritannien durchaus viele, die einen Rückzug des Austritts wünschen, es sind derzeit aber keine politischen Führungspersönlichkeiten erkennbar, die einen solchen Rückzug erfolgreich durchsetzen könnten. In den nächsten Monaten kann sich aber noch vieles ändern, sodass ich einen Rückzug auch nicht völlig ausschliessen
würde. 

 

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Die EU wurde einst als grosses Erfolgsmodell gefeiert. Was wurde falsch gemacht, dass die Union da steht, wo sie heute ist? Und glauben Sie, dass die EU längerfristig überleben wird?
Die heutigen Probleme der EU liegen meiner Ansicht nach vor allem darin begründet, dass man wichtige Integrationsschritte wie z. B. die gemeinsame Währung mit dem Ziel einer immer weitergehenden Integration zu rasch und wenig durchdacht angegangen ist. Teilweise war man sich dessen durchaus bewusst, wollte aber die Integration vorantreiben und dachte, dass man fehlende Elemente wie z. B. die im Falle einer gemeinsamen Währung nötige gemeinsame Fiskalpolitik zu einem späteren Zeitpunkt einführen könnte. Ich glaube schon, dass die EU längerfristig überleben kann. Dazu muss sie sich aber konsequent auf jene Bereiche konzentrieren, die wirklich auf die Ebene der supranationalen EU gehören und alles andere den Nationalstaaten überlassen.

Und eine allerletzte Frage zur Weltpolitik: Was sind Ihrer Meinung nach die momentan drei grössten Problemfelder, mit denen unsere Welt zu kämpfen hat?
Mit zu den grössten Problemfeldern gehören meiner Meinung nach derzeit die Angriffe auf den Freihandel, der Klimawandel und die Konfliktherde inklusive der damit verbundenen Flüchtlings- und Migrationsströme.

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