Radikalkur der PVS, Revision von KVG, AHV und der 2. Säule sowie die Sanierung des Staatshaushaltes: Die Regierung habe in den vergangenen Jahren sehr gute Arbeit geleistet, lobt Erbprinz Alois. Ganz zufrieden ist er mit dem Status quo allerdings nicht. Im Interview mit der «lie:zeit» skizziert er die Herausforderungen der kommenden Jahre.

Interview: Michael Benvenuti · Fotos: Oliver Hartmann

 

Durchlaucht, die Legislaturperiode der Regierung Hasler neigt sich dem Ende zu. Wie fällt Ihre Bilanz der vergangenen dreieinhalb Jahre aus?
S. D. Erbprinz Alois: Der Regierungsantritt erfolgte vor dreieinhalb Jahren in einer sehr schwierigen Situation, in einer Zeit grosser Herausforderungen. In meinen Augen hat die Regierung sehr gute Arbeit geleistet. Sie hat die wichtigen Themen, die in der Koalition vereinbart waren, angepackt und grosse Schritte vorwärts gemacht. Natürlich hätte ich mir gewünscht, gewisse Themen noch umfassender zu behandeln oder Reformen noch klarer umzusetzen. Aber in der Tagespolitik gilt es, realistisch zu sein: Oft ist es besser, eine Reform wird aufgrund von Kompromissen nur teilweise umgesetzt, als sie scheitert komplett. Aber diese Kompromisse bedeuten auch, dass in ein paar Jahren nochmals gewisse Themen nachverhandelt werden müssen. So werden im Bereich der Altersvorsorge oder der Krankenversicherung in Zukunft noch weitere Schritte notwendig sein.

Die Regierung hat die Sanierung des Staatshaushaltes für beendet erklärt, gewisse Stimmen fordern aufgrund des nach wie vor vorhandenen strukturellen Defizits allerdings weitere Sparmassnahmen. Welchen Weg empfehlen Sie?
Laut der Finanzplanung sind keine zusätzlichen Sparmassnahmen notwendig, um die Kriterien nach dem Finanzhaushaltsgesetz einzuhalten. Das Umfeld bleibt jedoch schwierig. Daher empfehle ich weiterhin einen vorsichtigen Umgang mit den Staatsfinanzen.

«Die Gefahr wäre gewesen, dass wir irgendwann vor einem kaum noch zu bewältigenden Reformberg gestanden wären.»

S. D. Erbprinz Alois

Radikalkur der maroden PVS, Revision von KVG, AHV und der 2. Säule sowie die Sanierung des Staatshaushaltes: Wurden der Bevölkerung zu viele Reformen in zu kurzer Zeit zugemutet?
Es war sicher notwendig, diese Reformen anzugehen. Politisch wäre es vielleicht einfacher gewesen, gewisse Reformvorhaben in die nächste Legislaturperiode zu schieben, was aber letztlich nur zu noch grösseren Belastungen geführt hätte. Die Gefahr wäre gewesen, dass wir irgendwann vor einem kaum noch zu bewältigenden Reformberg gestanden wären.

Auch wenn die Regierung betont, die Reformen im Sinne der Opfersymmetrie durchgeführt zu haben, sehen sich viele Bürger als Verlierer der vergangenen Jahre: Pensionisten, Kranke, der Mittelstand. Können Sie diese Einschätzung nachvollziehen?
Bei so umfangreichen Reformen ist es erfahrungsgemäss so, dass viele unzufrieden sind. Das liegt in der Natur der Sache.

Wie schon Ihr Vater fordern auch Sie seit Jahren eine Abkehr vom Giesskannenprinzip. Es sollten nur jene vom Staat unterstützt werden, die es tatsächlich benötigen. Wie viele Massnahmen gab es in den vergangenen Jahren, die diesem Motto folgten? Und wo sehen Sie die grössten Möglichkeiten, diesen Vorschlag umzusetzen?
Bei den Reformen der AHV und des Krankenversicherungsgesetzes ist zu einem gewissen Mass eine Abkehr vom Giesskannenprinzip gelungen. Hier ist wohl auch das grösste Potenzial vorhanden. Generell ist aber eine Abkehr vom Giesskannenprinzip schwierig zu erreichen, weil es nie populär ist, einer grösseren Wählerschaft Transferleistungen vom Staat zu kürzen.

«Für die Koalitionsfähigkeit der Unabhängigen ist es natürlich wichtig zu wissen, wer überhaupt in der Regierung sitzen würde.»

S. D. Erbprinz Alois

Ein ewiger Zankapfel in der Politik ist die Landesverwaltung: Für die einen ist sie nach wie vor ein aufgeblähter Apparat, andere sehen sie hingegen am absoluten Limit. Inwieweit entspricht der jetzige Verwaltungsapparat Ihren Vorstellungen eines schlanken Staates?
Im internationalen Vergleich ist unser Verwaltungsapparat sicher als schlank einzustufen und erbringt dennoch eine gute Leistung. Nichtsdestotrotz erachte ich es als sinnvoll, auch beim Staat wie in einem guten Unternehmen ständig zu hinterfragen, welche Leistungen überhaupt erbracht werden müssen und wie dies am effektivsten und effizientesten möglich ist. In diesem Sinne begrüsse ich sehr die Leistungsanalyse der Landesverwaltung, die die Regierung unlängst mit dem Landtag diskutiert hat.

In knapp zwei Monaten wählt Liechtenstein einen neuen Landtag. Vor drei Jahren sahen Sie die Zeit noch nicht reif für eine alternative Regierungskoalition. Einerseits hätten FBP und VU noch immer die grösste inhaltliche Übereinstimmung, andererseits seien die Unabhängigen, was die Parteistrukturen betrifft, noch zu wenig weit entwickelt für eine Regierungsbeteiligung. Hat sich Ihre Meinung geändert?
Wie die politische Landschaft nach den Wahlen aussieht und welche Auswirkungen das Ergebnis auf mögliche Regierungskonstellationen haben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar. Eine neue Meinung zu möglichen Koalitionen zu formulieren, ist auch deshalb sehr schwierig, weil die Unabhängigen keine Regierungskandidaten nominiert haben. Für die Koalitionsfähigkeit der Unabhängigen ist es aber natürlich wichtig zu wissen, wer überhaupt in der Regierung sitzen würde.

Egal, wer Liechtenstein ab dem Frühjahr 2017 regieren wird: Welche Aufgaben gilt es am dringendsten zu erfüllen? Welche Reformen wünschen Sie sich für die kommenden Jahre?
Am dringendsten sollten wir uns dem Thema Altenpflege und -betreuung widmen: Wie finanzieren wir die Pflege? Wie verhindern wir einen Fachkräftemangel? Braucht es alternative Wohnformen? Dann sollten wir uns nicht zuletzt aufgrund eines Postulats mit der Aufgabenteilung zwischen Land und Gemeinden beschäftigen und klären, inwieweit beim Finanzausgleich Verbesserungen möglich sind. Schliesslich sollten wir im Bereich der Bildung zusätzliche Verbesserungen erzielen.


«Die katholische Kirche finanziert sich auch
in anderen Staaten nur über Spenden, etwa
in den USA, in Polen oder in Frankreich.»

S. D. Erbprinz Alois


Nachdem nun auch die dritte Regierung in Folge an der Entflechtung von Staat und Kirche gescheitert ist: Soll dieses Thema überhaupt noch weiterverfolgt werden?
Wenn das Erzbistum bzw. Gamprin und Balzers nicht bald eine Lösung finden, stellt sich aus meiner Sicht die Frage, ob die Finanzierung nicht anders geregelt werden sollte: zum Beispiel auf einem spendenbasierten Modell auf Landesebene. Die Klärung der vermögensrechtlichen Belange und gegebenenfalls Finanzierungshilfen für die Pfarreien könnten den Gemeinden und der katholischen Kirche überlassen werden.

Sie schlagen also vor, dass sich die katholische Kirche im Notfall über Spenden finanzieren müsste?
Die katholische Kirche finanziert sich auch in anderen Staaten nur über Spenden, etwa in den USA, in Polen oder in Frankreich.

Und wenn wegen Geldmangels einige Kirchen in Liechtenstein die Pforten schliessen müssten?
Wenn die liechtensteinische Bevölkerung tatsächlich so wenig Interesse an der katholischen Kirche haben sollte, dann sollte sie auch zur Kenntnis nehmen, dass Kirchen geschlossen oder umgewidmet werden müssen. Dies wäre bedauerlich, ist aber in anderen Staaten schon vielfach geschehen.

Ein weiteres heikles Thema ist die Öffnung der Grenzen: Die Wirtschaft wünscht aufgrund des Fachkräftemangels eine Lockerung der Zuwanderung. Könnte eine solche Aufweichung die Personenfreizügigkeits-Sonderlösung mit der EU gefährden?
Angesichts der schwierigen Diskussion innerhalb der EU ist es meiner Ansicht nach momentan kein günstiger Zeitpunkt, dieses Thema aktiv aufzugreifen. Mein Eindruck ist ausserdem, dass Liechtenstein mit der bisherigen Regelung – auch aufseiten der Wirtschaft – insgesamt gut gefahren ist und in der Bevölkerung eine grössere Änderung nicht mehrheitsfähig wäre.

Müssen Liechtenstein und dessen Wirtschaft denn zwangsweise immer weiter wachsen? Wäre es keine Option, die Bedürfnisse etwas herunterzuschrauben und mit dem Erreichten zufrieden zu sein, anstatt immer mehr zu wollen?
Es liegt in der Natur der Unternehmen, dass sie wachsen wollen. Wenn sie dies nicht in Liechtenstein können, werden sie versuchen, dies im Ausland zu tun – wie dies ja heute schon geschieht. Im Grunde genommen haben wir durch die beschränkte Zuwanderung und das beschränkte Platzangebot zwei natürliche Wachstumshemmer, die dazu geführt haben, dass das Wachstum hauptsächlich dort stattfindet, wo es mit einer hohen Wertschöpfung verbunden ist.

«Es liegt in der Natur der Unternehmen,
dass sie wachsen wollen. Wenn sie dies
nicht in Liechtenstein können, werden sie
versuchen, dies im Ausland zu tun.»

S. D. Erbprinz Alois


Apropos «immer mehr»: Die Freie Liste wirft der Regierung Versagen in den Verhandlungen mit der Schweiz bezüglich der Quellensteuer vor und hätte sich eine ähnliche Lösung gewünscht wie mit Österreich. Wie sehr trauern Sie diesen 20 Millionen Franken pro Jahr nach? Sollten hier Neuverhandlungen angestrebt werden?
Natürlich hätten wir alle gerne diese 20 Millionen Franken pro Jahr gehabt. Es war aber nicht zuletzt aufgrund einer etwas unglücklichen Kommunikation, die schon in der vergangenen Legislaturperiode passiert ist, nicht möglich, mit der Schweiz eine Einigung in dieser Frage zu erzielen. Ich glaube auch nicht, dass die Freie Liste in nächster Zeit ein anderes Verhandlungsergebnis erreichen würde. Ich stufe deren Aussagen deshalb eher als Wahlkampf ein.

Aktuell verhandeln Liechtenstein und die Schweiz über alternative Lösungen zum automatischen Informationsaustausch. Liechtenstein lehnt diesen bekanntlich ab und schlägt eine Abgeltungssteuer vor. Wie gross ist die Gefahr, dass Bern Vaduz wie schon bei der Quellensteuer die kalte Schulter zeigt?
Während Verhandlungen ist es meist klüger, zurückhaltend zu kommunizieren. Ich halte es daher nicht für sinnvoll, über den Ausgang der Verhandlungen zu spekulieren.

Europa geht seit Jahren durch unsichere Zeiten. Zuerst die Finanzkrise, nun die Flüchtlingskrise. Wie beurteilen Sie die Perspektiven für Europa?
Weder die Euro-Krise noch die Flüchtlingskrise ist gelöst. Hinzu kommt jetzt auch noch der Austritt Grossbritanniens. Ausserdem besteht unter den EU-Staaten grosse Uneinigkeit darüber, wie diese Krisen gelöst werden sollen. Solange diese Zerrissenheit besteht, müssen wir meiner Ansicht nach mit weiteren unsicheren Jahren für Europa rechnen.

Gerade die CETA-Verhandlungen der EU mit Kanada haben die Zerrissenheit der Europäischen Union gezeigt. Ist die EU in ihrer bisherigen Form gescheitert? Und wie muss sich die EU verändern?
Es braucht wahrscheinlich eine EU der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Eine gemeinsame Währung bedingt eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, weil die einzelnen Länder im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihre Währung nicht mehr abwerten können. Das heisst: Jene Staaten, die im Euro bleiben wollen, werden sich politisch weiter integrieren müssen. Die anderen Staaten sollten sich auf einen funktionierenden europäischen Wirtschaftsraum konzentrieren können.

Europa befindet sich gerade in einer stürmischen Phase. Es scheint einen Trend zu geben zurück zu abgeschotteten Nationalstaaten, zu Zäunen und Mauern statt offenen Grenzen. Wie besorgt verfolgen Sie diese Entwicklung?
Wenn die Entwicklung in die Richtung geht, dass die Personenfreizügigkeit in kritischen Bereichen stärker eingeschränkt wird, um in gewissen EU-Staaten wieder den Rückhalt der Bevölkerung zu erhalten, und gleichzeitig der uneingeschränkte, funktionierende Binnenmarkt sichergestellt ist, dann ist es nicht allzu besorgniserregend. Wenn allerdings die Grenzen sehr umfangreich hochgezogen werden sollen und der offene Binnenmarkt von einer Abschottung der Märkte, einem nationalen Protektionismus abgelöst wird, wäre das sehr problematisch für Europa und auch für Liechtenstein als Exportnation. Wir sind auf den offenen Zugang zu anderen Märkten besonders angewiesen.

In den vergangenen Jahren sind rechtsnationale Parteien wie die AfD, FPÖ oder der Front National mitten in der Gesellschaft angekommen, radikale Tendenzen nehmen zu. Hat Europa aus der Vergangenheit tatsächlich so wenig gelernt oder sehen Sie im Erstarken der rechten Parteien lediglich ein Aufbegehren enttäuschter Protestwähler?
Diese rechtsnationalen Parteien profitieren natürlich sehr von frustrierten Protestwählern. Dennoch darf man die radikalen Tendenzen nicht unterschätzen.


«Bei der Flüchtlingskrise wäre es sinnvoll,
direkt vor Ort und in einem frühzeitigen
Stadium aktiv zu werden.»

S. D. Erbprinz Alois


Wie soll auf die Ängste in der europäischen Bevölkerung reagiert werden?
Einerseits sollten rasch Massnahmen ergriffen werden, um diesen Ängsten entgegenzuwirken. Beispielsweise könnte bei der Personenfreizügigkeit der ungehemmte Zustrom eingedämmt werden, ohne den funktionierenden Binnenmarkt zu gefährden. Das würde der Bevölkerung auch wieder mehr Sicherheit geben. Andererseits sollte längerfristig versucht werden, sich mit den Ursachen dieser Krisen zu befassen. So wäre es etwa bei der Flüchtlingskrise sinnvoll, direkt vor Ort und in einem frühzeitigen Stadium aktiv zu werden. Gleichzeitig wäre es ratsam, im Bildungsbereich entsprechende Massnahmen zu setzen und die Bevölkerung so auszubilden, dass sie sich nicht als Verliererin von Entwicklungen sehen muss, sondern sie vielmehr neue Chancen wahrnehmen kann.

Trotz unzähliger rassistischer und frauenfeindlicher Fehltritte im Wahlkampf und fehlender politischer Erfahrung wurde Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt. Was bedeutet seine Wahl für Europa?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen. Es besteht noch zu wenig Klarheit über das politische Programm von Donald Trump und die Zusammensetzung seiner Administration. Problematisch für Europa, aber auch die USA selbst, wäre eine protektionistische Politik, die den Freihandel einschränkt.

In Ihren Aussagen schwingt stets Optimismus mit. Woher nehmen Sie diese Zuversicht?
Aus einer liechtensteinischen Perspektive bin ich insofern zuversichtlich, als wir in einer vergleichsweise guten Ausgangslage für diese herausfordernden Zeiten sind. Ich bin aber auch nicht überoptimistisch, sondern betrachte mit Sorge, dass viele der Probleme in unserer westlichen Welt seit langer Zeit bekannt sind und dennoch nicht rechtzeitig darauf reagiert wurde. Natürlich werden wir durch diese Entwicklung beeinträchtigt sein und auch in den nächsten Jahren nicht mit einer Wiederkehr der goldenen Zeiten der letzten Jahrzehnte rechnen können.

Abschliessend: Was wünschen Sie den Einwohnern Liechtensteins für das kommende Jahr?
Ich wünsche ihnen, dass  die internationale Entwicklung in eine positive Richtung geht, sodass wir letztlich auch in Liechtenstein wieder einfachere Zeiten haben.

 

Durchlaucht, vielen Dank für das Gespräch!