Was vom Lohn übrig bleibt

«Mehr Netto vom Brutto» Grafik: Oliver Hartmann (Medienbuero Oehri & Kaiser AG)

Greift der Staat seinen Bürgern mit Steuern und Sozialabgaben schon zu tief in die Taschen? Bleibt überhaupt noch genug Geld, um sich das teure Leben in Liechtenstein leisten zu können? Eine aktuelle, vom Gesellschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie des Liechtenstein-Instituts zeigt nun: In Liechtenstein bleibt wesentlich mehr «Netto vom Brutto» als in der Schweiz.

Text: Michael Benvenuti

Dass Liechtenstein innerhalb Europas eines der höchsten durchschnittlichen Lohnniveaus aufweist, ist hinlänglich bekannt. Andererseits gilt das Fürstentum bei den Lebenshaltungskosten als besonders teures Pflaster. Ob Wohnen, Essen, Kinobesuche oder Shoppen gehen: Das Leben in Liechtenstein hat seinen Preis. Aber wie viel des monatlichen Einkommens schlucken hierzulande Steuern, Sozialabgaben und die Fixkosten für Wohnen, Energie, Mobilität, Grundernährung und obligatorische Krankenversicherung tatsächlich? Wie viel Geld bleibt den Liechtensteinern als frei verfügbares Einkommen? Haben wir hierzulande unter dem Strich gar weniger vom Bruttolohn im Portemonnaie als Arbeiter und Angestellte in der Schweiz, wie dies in Leserbriefen und von einigen Standesvertretern immer wieder behauptet wird? Lassen sich so etwa höhere Tarifkosten im Sozial- oder Gesundheitswesen rechtfertigen? Oder wird lediglich auf hohem Niveau gejammert?

Leben im Paradies?
Wie die Ergebnisse einer vom Liechtenstein-Institut durchgeführten Studie zum verfügbaren Einkommen zeigen, ist eher Letzteres der Fall. So bleiben den Liechtensteinern von ihrem Einkommen durchschnittlich 59 Prozent zur freien Verfügung, den Schweizern hingegen nur 44 Prozent. Im Klartext: Während im Fürstentum von 100’000 Franken Einkommen pro Jahr netto durchschnittlich 59’000 Franken übrigbleiben, muss sich der Schweizer mit 44’000 Franken begnügen. Selbst in Planken, der liechtensteinischen Gemeinde mit den höchsten Abzügen und Kosten, beträgt das frei verfügbare Einkommen mit 57,8 Prozent knapp 7 Prozentpunkte mehr als in Altdorf, der attraktivsten helvetischen Gemeinde. Der gravierende Unterschied ist in erster Linie auf die tieferen Steuer- und Sozialabgaben zurückzuführen, die durch die teilweise höheren Wohnkosten bei Weitem nicht kompensiert werden. Ausserdem sind die staatlichen Transferleistungen höher als in der Schweiz – und sogar steuerfrei. «In Liechtenstein lohnt sich Arbeit», fasst Gesellschaftsminister Mauro Pedrazzini die Studienergebnisse zusammen. Als Freibrief, dem offensichtlich verhältnismässig wenig geschröpften liechtensteinischen Bürger über höhere Steuern mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, will Pedrazzini die Resultate aber nicht interpretieren. Der Bürger solle vielmehr darauf achten, dass sich dieser Zustand nicht ändere: «Man sollte sich bewusst sein, in welchem Paradies wir hier leben.» Dieses gelte es zu verteidigen.

29 Gemeinden verglichen
Im Auftrag des Ministeriums für Gesellschaft gingen Berno Büchel und Andreas Brunhart, Forschungsbeauftragte am Liechtenstein-Institut, der Frage nach «Wie viel bleibt Netto vom Brutto» und verglichen dabei die elf liechtensteinischen Gemeinden mit 18 ausgesuchten Gemeinden und Städten in der Schweiz wie Buchs, Chur, Maienfeld, Sevelen, Sennwald, Zürich oder Genf. Um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, wurden in der Studie die verschiedenen Parameter wie Einkommen, Vermögen, Familienstand und Haushaltsgrösse systematisch variiert. Insgesamt ergab dies für jede Gemeinde 192 verschiedene Modelle. In der Studie wurden Daten und Zahlen des Jahres 2013 verglichen und bewusst ausschliesslich die staatlich vorgeschriebenen sowie die für die Lebenshaltung unausweichlichen Ausgaben betrachtet. Also beispielsweise nur die obligatorische Krankenversicherung und nicht die in Liechtenstein weit verbreiteten freiwilligen Zusatzversicherungen. Diese Betrachtung der minimalen Lebenskosten ist zwar auf Kritik gestossen. Um einen fairen und nachvollziehbaren Vergleich zu haben, musste aber auf beiden Seiten des Rheins dieselbe Betrachtungsweise angewendet werden.

Berechnung des verfügbaren und frei verfügbaren Einkommens eines Haushalts
Arbeitseinkommen 
+ Vermögenseinkommen 
= Markteinkommen (ursprüngliches Haushaltseinkommen) 
+ Transfereinkommen: Kinderzulagen, Wohnbeihilfen, OKP-Prämienverbilligung 
– Direkte Steuern: Einkommenssteuer, Vermögenssteuer 
– Sozialversicherungsbeiträge: AHV, IV, ALV
 – Beiträge 2. Säule
 – Prämien obligatorische Krankenversicherung
 = Verfügbares Einkommen 
– Wohnkosten: Mietkosten, Nebenkosten 
– Mobilitätskosten (Pendelkosten) 
– Ausgaben für Grundernährung 
= Frei verfügbares Einkommen