«Die Pflege ist eines der grossen Themen»

Renate Müssner

Renate Müssner stieg während ihrer Tätigkeit als Chemikerin 2005 als Regierungsrat-Stellvertreterin in die Politik ein. Vier Jahre später wurde sie für eine Amtsperiode in die Regierung gewählt. Noch heute, fünf Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt, liegen ihr das Sozial- und Gesundheitswesen am Herzen. Privat bereist sie die Welt, erweitert ihren Horizont durch Lesen und pflegt ihren Garten.

Interview: Tamara Beck

 

Frau Müssner, seit fünf Jahren sind Sie nicht mehr in der Regierung. Was haben Sie seitdem gemacht?
Renate Müssner: Ich konnte vieles machen, wofür ich früher nie Zeit hatte. Neben einem Fulltime-Job habe ich meine schwer behinderte Schwester bis zu ihrem Tod 2005 gepflegt. Nach dem Ausscheiden aus der Regierung war ich oft auf Reisen. Gerne habe ich auch das Angebot des Seniorenbundes und der LIPO (Liechtensteiner Patientenorganisation) angenommen, mich in deren Vorstand zu engagieren. Nach dem Grundsatz des lebenslangen Lernens habe ich Zeit gefunden, mich mit Sachliteratur zu verschiedensten Wissensgebieten zu beschäftigen, u. a. mit dem Zusammenhang zwischen Ökonomie und Umwelt. Mit grosser Freude hüte ich auch regelmässig den Sohn meiner Nichte.

Sie geniessen also eine Art Frühpensionierung?
Genau. Ich habe den «60er» ja schon seit geraumer Zeit hinter mir gelassen und geniesse es, mir meine Zeit frei einteilen zu können, und auch Zeit für neue Projekte zu haben, von denen es noch viele gibt, wie z. B. Arabisch zu lernen.

Bereuen Sie es nicht, länger in der Regierung gewesen zu sein?
Nein. Ich bedaure nur, dass ich verschiedene Arbeiten und Projekte nicht mehr zu Ende bringen konnte, wie z. B. die Neuregelung der sozialpsychiatrischen Versorgung, ein umfangreiches und komplexes Konzept. Der Landtag sah es
damals leider anders und hat den Bericht und Antrag dazu nicht mehr behandelt.

Wie würden Sie Ihre Zeit in der Regierung rückblickend beschreiben?
Es waren spannende und lehrreiche Jahre, mitunter auch turbulente, die mir die Gelegenheit gaben, Leute kennenzulernen, denen ich sonst nie begegnet wäre. Besonders gut und gerne in Erinnerung habe ich die Zusammenarbeit mit meinen damaligen Mitarbeitern, ein hervorragendes Team von fähigen und motivierten Menschen. Es gab auch weniger Erfreuliches, im Hinblick auf menschliche Beziehungen hat sich die Spreu vom Weizen getrennt.

Welches waren Ihre Höhepunkte?
Hervorzuheben ist sicher die Einführung des Pflege- und Betreuungsgeldes. Wichtig war auch die Reorganisation der LAK und insbesondere die Zusammenführung der Familienhilfen in Liechtenstein – langfristig gesehen bedeutende Projekte. Sehr gefreut hat mich auch, dass in meiner Amtszeit der Matilaberg in Triesen und die Mareewiesen in Vaduz als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden konnten.

Gab es auch Sachen, die nicht optimal liefen?
Ja, sicher. Leider stimmte der Landtag der Ausweitung des Prämienverbilligungssystems bei der damaligen KVG-Revision nicht zu. Es ist auch überhaupt nicht gelungen, die Bürger zu überzeugen, dem Verpflichtungskredit zum Neubau des Landesspitals zuzustimmen. Die Folgen der neid- und hasserfüllten, kurzsichtigen Abstimmungskampagne der Gegner werden uns noch lange beschäftigen.

Als Vizepräsidentin der LIPO und als Vorstandsmitglied des Seniorenbundes sind Sie nah an den Problemen im Sozial- und Gesundheitssystem. Welche Probleme sehen Sie hier?
Es ist zwar richtig, dass es vielen von uns wirtschaftlich so gut geht wie nie; für viele von uns ist aber auf unserer Hochpreisinsel der Monat für das Einkommen zu lang. Wenn z. B. ein Rentnerpaar noch gut über die Runden kommt, fällt beim Tod eines Partners eine komplette AHV weg, und auch die Pensionskasse, wenn überhaupt vorhanden, fällt deutlich niedriger aus, die Fixkosten bleiben aber gleich. So müssen viele jeden Rappen dreimal umdrehen. Wir sind wirklich fast täglich mit Problemen und Einzelschicksalen konfrontiert, die uns auch Schwächen unseres Systems aufzeigen.

In diesem Sinne stören Sie sich auch an den hohen Krankenkassenprämien?
Die Prämienhöhe an sich stört mich nicht so sehr. Wenn ich vom Fortschritt der Medizin im Anlassfall profitieren und die heutigen Möglichkeiten nutzen will, hat das seinen Preis. Wie der Helsana-Ausgabenreport 2016 feststellt, kann sich die Schweiz ihr teures Gesundheitswesen volkswirtschaftlich gut leisten, allerdings nicht jeder einzelne Versicherte, was zum Schluss führt, dass ein Verteilungsproblem besteht. Diese Aussagen treffen im Grossen und Ganzen auch auf Liechtenstein zu. Deswegen wäre es wichtig, das Prämienverbilligungssystem für die unteren Einkommensklassen auszubauen, um diese gezielt von den Prämien und Kostenbeteiligungen zu entlasten. Ein gutes Gesundheits- und Sozialwesen ist elementar wichtig und überdies durchaus ein Standortvorteil.

Mit dem Seniorenbund und der LIPO sind Sie ja bereits am Puls. Können Sie sich auf diesem Weg auch politisch einbringen?
Bei beiden Vereinen ist statutarisch festgelegt, sich auch sachpolitisch für die jeweiligen Belange einzusetzen und am Gesetzgebungsprozess teilzunehmen. Wir haben festgestellt, dass es in der Regel erfolgsversprechender ist, unsere Meinung bzw. Vorschläge frühzeitig in die Diskussion einzubringen. In beiden Vereinsvorständen wird diskutiert, und es ist daher nicht die Meinung eines Einzelnen, sondern die des Vorstandes, die nach aussen vertreten wird.

Wie gross ist das Problem der Überalterung der Gesellschaft?
Ich finde es wunderbar, dass wir heute eine höhere Lebenserwartung haben, die im Übrigen auch der guten medizinischen Versorgung geschuldet ist.

Da jetzt gleichzeitig die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter kommen, nimmt die Zahl älterer Menschen zu. In diesem Prozess stecken wir bereits heute. Das wirft sicher einige Probleme auf, die aber beherrschbar sind.

Ich schliesse mich der Meinung des Ökonoms Bösch-Supan an, der sagt, dass die Demografie kein Tsunami sei, der uns alle überrolle und wir hinterher alle mausetot seien. Alle Argumente hier anzuführen, die diese Meinung stützen, würde den Rahmen sprengen.

Was erwarten Sie noch vom Gesundheits- und Sozialwesen?
Das Gesundheitswesen ist nichts Statisches, es entwickelt sich ständig weiter. Auch unsere
Ansprüche sind heute andere als früher. Keiner will z. B. heute noch im Spital im Mehrbettzimmer liegen müssen. So wird es auch in Zukunft einer ständigen Diskussion aller Beteiligten bedürfen. Ich hoffe aber sehr, dass wir im Gesundheits- und Sozialwesen von der derzeitigen reinen Kostendiskussion weg und hin zu einer Nutzendiskussion kommen.

KURZ GEFRAGT

Wie starten Sie in den Tag?
Mit Kaffee, der aktuellen Lieblingsmusik und Welt-Nachrichten.

Was schätzen Sie an Ihrer Wohngemeinde?
Ich bin in Nendeln aufgewachsen und schätze hier die Vertrautheit, die Überschaubarkeit und die Möglichkeit, in fünf Minuten im Wald zu sein.

Welches ist Ihr liebster Ort in Liechtenstein?
Mein Garten in Nendeln.

Welches Buch liegt derzeit auf Ihrem Nachttisch?
Immer mehrere: «Bildung als Provokation» (Konrad Paul Liessmann), «Περαίωση» (Petros Markaris), «Die Ökonomie von Gut und Böse» (Tomáš Sedláček).

Ein Lieblingszitat?
Viele, je nach Anlass, zum Beispiel:
– Z`tot gfüarchtat sei oo gschtorba.
– Wer ned aalt werda well, muass jung schterba.
– Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muss man vor allem ein Schaf sein. (Albert Einstein)

Ein Reiseziel, das Sie noch interessieren würde?
Da gibt es einige. Ganz oben auf der Liste stehen eine Reise entlang der Seidenstrasse, vor allem Usbekistan und Turkmenistan, und eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Peking.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Für mich persönlich Gesundheit; ohne diese liessen sich meine Pläne kaum verwirklichen. Allgemein wünsche ich mir auch in Zukunft ein funktionierendes Sozialsystem, also Sozialleistungen und keine Almosen.