Sind Liechtensteins Bürgergenossenschaften ein Anachronismus?

Blick von Nendeln her auf den Sportpark Eschen-Mauren. In der Mitte der Windschutzstreifen. Dahinter beginnt das Maurer Gemeindegebiet. Es ging bei der Abstimmung der Genossenschaft vor einiger Zeit um die Abtretung von Boden im Baurecht an den Liechtensteiner Fussballverband der an die Hauptverbindungsstrasse zwischen Eschen und Nendeln grenzt. In der Bildmitte der «Dreifuss», ­davor das Hauptspielfeld Nr. 1 mit Tribüne und Garderobengebäude, ganz links der Kunstrasenplatz, davor die Leichtathletikanlagen. Rechts vom Windschutzstreifen: ­die Tennisaussenanlage mit Tennishaus, die Trainingsplätze 2 und 3, hinten die Tennishalle und vorne rechts die Reitanlage Batliner. Der Bürgerrechtsboden umfasst rund 42'000 m2. Das LFV-Projekt hätte auf dieser Parzelle errichtet werden sollen.

Zwei Beispiele aus der Praxis

Liechtensteins Bürgergenossenschaften machten in den vergangenen Monaten zweimal von sich reden: einmal mit dem negativen Entscheid gegen einen muslimischen Friedhof und einmal mit der Ablehnung eines Trainingszentrums des Fussballverbands. Einmal ging es um 10‘000 Quadratmeter, einmal um 40‘000. Das Ergebnis war dasselbe – mit unterschiedlicher Deutlichkeit. Gegen den muslimischen Friedhof sprachen sich die Vaduzer Bürgergenossen sehr deutlich aus. Das Trainingszentrum des Liechtensteiner Fussballverbands (LFV) stiess auf eine knappe Ablehnung der Eschner Bürgergenossen mit 113 Nein- zu 107 Ja-Stimmen. Die Botschaft scheint aber in beiden Fällen die zu sein, dass die Bürgergenossenschaften keinen Boden herzugeben gewillt sind. Erschienen am 17.6.2017 in lie-zeit PRINT.

Zwei Klassen von Einwohnern

Bürgergenossenschaften im heutigen Stil sind in Liechtenstein ein relativ neues Phänomen. Es gibt sie seit etwas mehr als zehn Jahren. Laut Gesetz über die Bürgergenossenschaften musste damals bis zum 13. Juni 2004 eine Regelung mit der Gemeinde zustande kommen, ob nun eine Genossenschaft gegründet wird oder nicht. Es entstanden solche in Balzers, Triesen, Vaduz, Eschen und Mauren. Zu den Aufgaben der Genossenschaften sagt Ursula Wachter, Vorsitzende der Bürgergenossenschaft Vaduz (BGV): «Das Genossenschaftsgut ist nachhaltig zu verwalten und für die kommenden Generationen zu wahren. Erträgnisse aus dem Genossenschaftsgut sind insbesondere zur Pflege und zum Schutz von Wald und Weide sowie für andere, vor allem kulturelle Gemeinschaftsaufgaben zu verwenden.» Zusammengefasst ist es also die Aufgabe der Genossenschaften, das Bürgervermögen zu verwalten. Dazu zählen vor allem Böden in den verschiedenen Zonen von Bauzone bis Landwirtschaftszone. Mitglied können die Bürger einen Gemeinde werden, während die Entscheide der politischen Gemeinden von allen dort wohnenden Einwohnern mit Liechtensteiner Nationalität gefällt werden.

«Der Friedhof stand nicht im Zentrum»

In den Jahren nach ihrer Gründung sind die Bürgergenossenschaften kaum öffentlich in Erscheinung getreten; bis zur geplanten Errichtung eines muslimischen Friedhofs auf einer Parzelle an der Feldkircher Strasse in Schaan, die der Vaduzer Bürgergenossenschaft gehört. Bürgermeister Ewald Ospelt relativiert: «Es ging Ende November 2016 in erster Linie nicht um einen Entscheid für oder gegen einen muslimischen Friedhof, sondern um ein Verhandlungsmandat für den Vorstand der Bürgergenossenschaft.» Gegenstand dieses Mandats wäre es gewesen, weitere Abklärungen beziehungsweise Verhandlungen in dieser Angelegenheit vornehmen zu können respektive zu dürfen. Letztlich sei jedoch leider ausschliesslich die Frage der Errichtung des muslimischen Friedhofs im Vordergrund gestanden. Dieser sollte sich ausserhalb des Siedlungsgebietes befinden und zentral in Liechtenstein gelegen sein, was bei der Parzelle an der Feldkircher Strasse der Fall gewesen wäre. Auch die Anbindung an den öffentlichen Verkehr wäre gegeben gewesen. Für die Bestattungen wäre es von zentraler Bedeutung gewesen, dass die Gräber nach Mekka ausgerichtet gewesen wären und dass die Verstorbenen in jungfräulicher Erde bestattet worden wären. All dies wäre auf der Parzelle realisierbar gewesen. Die nötige Bodenbeschaffenheit wäre ebenfalls gegeben gewesen – zumal sich keine Altlasten auf dem Grundstück befinden – und für die Parzelle hätten auch keine Spezialvorschriften gegolten.

Politischer Entscheid war noch ausstehend

Auf den gleichen Umstand wie der Bürgermeister weist Ursula Wachter hin: «Bei der Abstimmung über die Frage, ob die BGV eine Teilfläche Wald den Gemeinden des Landes zur Schaffung eines muslimischen Friedhofs zur Verfügung stellen will, ging es für die BGV nicht um die politische Entscheidung, ob ein muslimischer Friedhof überhaupt gebaut werden soll, denn dafür ist sie gar nicht zuständig.»

Die BGV habe damals vielmehr darüber entscheiden sollen, ob sie diese Waldfläche anders bewirtschaften will als bisher. «Auch wenn die BGV einer anderen Bewirtschaftung ihres Waldes zugestimmt hätte, hätte dies noch lange nicht bedeutet, dass dann auch ein muslimischer Friedhof gebaut worden wäre. Diese Entscheidung der politischen Gemeinden stand ja noch aus.»

Ängste ausschlaggebend

Zu den mutmasslichen Gründen für die Ablehnung sagt Ewald Ospelt: «Es war und ist heute noch eine schwierige Zeit, solche Themen möglichst emotionslos abhandeln zu können. Vielleicht hätte man einen längeren Vorlauf beziehungsweise verstärkte Informationsarbeit et cetera wählen sollen. Ängste, Unsicherheit und zum Teil Unwissenheit waren meines Erachtens ausschlaggebend.» Die Zusammenarbeit mit der Bürgergenossenschaft im Allgemeinen ist jedoch gemäss dem Bürgermeister sehr gut und geschehe in gegenseitiger Achtung und Wertschätzung zwischen politischer Gemeinde und Genossenschaft.

«Im Nachhinein wäre ein Bodentausch mit den Gemeinden aus Sicht der BGV klüger gewesen, um diese hochbrisante, gesellschaftspolitische Entscheidung von denjenigen treffen zu lassen, die sie zu treffen haben, nämlich von den politischen Gemeinden», sagt Ursula Wachter. Die Gemeinden hätten dann zuerst entscheiden müssen, ob sie einen muslimischen Friedhof bauen wollen, bevor sie ein geeignetes Grundstück erwerben. «Diese Vorgangsweise wurde von der Vorsteherkonferenz aber nicht vorgeschlagen.»

«Zukunftsträchtig und am -richtigen Ort»

Gut ist die Zusammenarbeit zwischen Bürgergenossenschaft und politischer Gemeinde auch in Eschen, wie Vorsteher Günther Kranz betont: «Wenn die Gemeinde strategische Projekte auf den Weg brachte, kam nie Widerstand. Es wurden Fragen gestellt und beantwortet und dann an einem Strick gezogen.» Dennoch kam es auch hier zu einem ablehnenden Entscheid gegen den Wunsch der politischen Gemeinde. Nicht gewollt ist ein Trainingszentrum für den Fussballverband. Im Baurecht hätten auf dem vorgesehenen Areal vier Fussballfelder entstehen sollen, auf denen jährlich 1200 Trainingseinheiten der verschiedenen Verbandsteams durchgeführt worden wären. Zudem sollte ein Gebäude entstehen, in welchem sich die Geschäftsstelle, das Materiallager und das medizinische Zentrum befunden hätten.

«Aus unserer Sicht war das Projekt in dieser Form optimal konzipiert. Vom idealen Standort in einer dem Sport gewidmeten Zone über die Finanzierung der Investition bis hin zum Betrieb und Unterhalt hat bei diesem Projekt alles gestimmt», sagte Philipp Patsch, der Generalsekretär des LFV, im Anschluss an den negativen Entscheid gegenüber dem «Vaterland».

«Die Gemeinde wurde in der Vorbereitung des Entscheids vom LFV stets detailliert über den Stand der Fortschritte informiert», sagt Günther Kranz. Entsprechend habe sich der Gemeinderat auch für das Projekt ausgesprochen. «Wir hielten es für zukunftsträchtig und am richtigen Ort.» Es hätte Synergien geschaffen, wäre imagefördernd gewesen und hätte Handel und Gewerbe Erträge eingebracht. «Auch der Vorstand der Bürgergenossenschaft war von Anfang an in das Projekt einbezogen und hat es unterstützt. Es war also keinesfalls ein Alleingang irgendeines Partners. Leider war dem Projekt kein Erfolg beschieden – das ist zu akzeptieren.»

Kein geeignetes Tauschobjekt

Ein Grundstückstausch, wie er vielleicht in Sachen des muslimischen Friedhofs noch sinnvoll gewesen wäre, kam in Eschen jedenfalls nicht infrage. «Ein Grundstück wie dasjenige südlich des Sportparks, wo das Trainingszentrum zu stehen gekommen wäre, in gleicher Lage und Grösse, besitzt die Gemeinde schlicht und einfach nicht», sagt Günther Kranz. «Wir hätten schon mit Bauplätzen in die Verhandlungen gehen müssen.»

Über die Gründe für die Ablehnung kann auch der Vorsteher nur spekulieren: «Es sind an der Versammlung Voten gefallen, dass der Landwirtschaft mit diesem Projekt Boden entzogen würde. Dies, obwohl sich das Grundstück nicht in der Landwirtschaftszone befindet, sondern im übrigen Gemeindegebiet.» Vielleicht liege die Skepsis mancher Gegner auch darin begründet, dass sie das Projekt einfach als nicht realistisch betrachteten oder dass es vielleicht in der Nähe zum bereits bestehenden Sportpark liege.

Unbegründete Ängste

Auch für Werner Bieberschulte, Vorsitzender der Bürgergenossenschaft Eschen, sei die Ablehnung des Baurechts durch die Bürgergenossenschaft nicht nachvollziehbar. Seiner Ansicht nach habe dieser Entscheid verschiedene Gründe. Auch er glaubt, dass die Landwirte befürchteten, Boden zu verlieren. «Das wäre aber nicht der Fall gewesen, denn das Gebiet ist Gemeindegebiet und gehört der Bürgergenossenschaft. Das Grundstück ist für solche Projekte vorgesehen», sagte Bieberschulte gegenüber dem «Vaterland».

«Nicht mehr zeitgemäss»

Die einzige grosse Gemeinde Liechtensteins ohne Bürgergenossenschaft ist Schaan. Vorsteher Daniel Hilti war im Jahr 2004 gegen die Gründung einer solchen Genossenschaft. In einer Zeit also, in der in der Schweiz bereits die Tendenz vorherrschte, weg von den Bürgergenossenschaften zu kommen, und Liechtenstein einen eigenen Weg ging. «Für mich ergab es keinen Sinn, eine Parallelverwaltung innerhalb der Gemeinde aufzubauen und über 20 Millionen Franken als Ablöse von Grundstücken zu leisten, die bis anhin der politischen Gemeinde gehörten. Zudem war ich der Ansicht, dass eine Bürgergenossenschaft nicht mehr zeitgemäss ist.» Der Hauptvorteil in einer Gemeindeverwaltung ohne Bürgergenossenschaft liege darin, dass die politische Gemeinde über das gesamte Gemeindevermögen – also Finanzen, Grundstücke und so weiter – allein bestimmen könne.

In Bezug auf die beiden negativen Entscheide der Bürgergenossenschaften Vaduz und Eschen sagt Daniel Hilti: «Ich glaube, dass so wichtige Entscheide von allen stimmberechtigten Einwohnern einer Gemeinde getroffen werden sollten. Zumindest aber sollten sie referendumsfähig sein.»

Zukunft der Projekte ungewiss

Mit den negativen Entscheidungen der Bürgergenossenschaften ist es aber in Bezug auf die Themen «muslimischer Friedhof» und «Trainingszentrum» wohl noch nicht das letzte Wort gesprochen worden und es drängt in beiden Fragen nach einer Lösung. Angesichts der Beliebtheit des Fussballs in Liechtenstein wäre das Trainingszentrum des LFV eine sinnvolle Zukunftsinvestition, und was den muslimischen Friedhof betrifft, wird das Problem desto grösser, je mehr ältere Muslime – auch mit Liechtensteiner Staatsbürgerschaft – im Land leben.

Wie es mit den geplanten Projekten aber tatsächlich weitergehen soll, steht indes heute noch in den Sternen. «Die Vorsteherkonferenz wird sich wiederum dem Thema widmen und eine andere Vorlage erarbeiten müssen», sagt Bürgermeister Ewald Ospelt. Und bezüglich des Trainingszentrums gibt es gemäss Philipp Patsch auch noch nichts Konkretes oder Neues. Der Verband führe aber Gespräche mit anderen Gemeinden, ob diese vielleicht Interesse hätten – besser aber vielleicht in solchen ohne Bürgergenossenschaft.

 

Positive Abstimmungen der Eschner Bürgergenossenschaft

Am Mittwoch, den 31. Mai 2017 traf sich die Eschner Bürgergenossenschaft, um über zwei Themenbereiche abzustimmen. Im Hinblick auf die 300-Jahr-Feier 2019 ging es zum einen um die Realisierung einer symbolträchtigen Brücke zwischen dem Ober- und Unterland beim Ortsteil Nendeln und der Gemeinde Planken. Und zum anderen um die künftige Briefwahl bei Abstimmungen innerhalb der 924 Mitglieder umfassenden Eschner Bürgergenossenschaft. Beide Traktanden wurden teils mit deutlicher Mehrheit angenommen.

Die Idee der Briefwahl wurde aus Kreisen der Bürgergenossenschaft der Versammlung selbst vorgeschlagen, um inskünftig eine breit abgestützte und auch demokratischere Wahl resp. Abstimmung zu gewährleisten. Bei der Briefwahl – so das Credo der Bürgergenossenschaft – seien die Chancen viel grösser, die Entscheidungsfindung breiter zu streuen. Ob es im Nachgang direkt mit der Realisierung des Sportzentrums durch den Liechtensteinischen Fussballverband (LFV) zu tun hat, ist nicht geklärt. Jedenfalls wissen wir, dass der Eschner Gemeinderat, wie aus den Worten von Vorsteher Kranz zu entnehmen ist, das LFV-Projekt aus vielerlei Gründen befürwortet. Das Sportanlagen-Projekt direkt anschliessend an den Sportpark der Gemeinden Eschen und Mauren würde rund 13,5 Mio. Franken kosten und würde vollumgänglich von der UEFA (Europäischer Fussballverband) übernommen. Aber auch die nicht unerheblichen Folgekosten Jahr für Jahr wären Sache der UEFA. Es käme einem Geschenk gleich, das die UEFA dem Liechtensteiner Fussballsport machen würde, sagen die vielen Sportler rund um den Sportpark.

Zudem hört man in weiten Kreisen des USV und der vielen Sportfreunde, aber auch von anderen Sportarten, die im Zusammenhang mit dem Sportpark stehen, dass man ein Gesamtkonzept unter Einbezug der Gemeinde Mauren und des USV Eschen/Mauren erarbeiten sollte. Auch wäre eine solche Lösung für andere Sportarten und andere Verbände wie z. B. das Olympische Komitee oder der Liechtensteinische Skiverband von grossem Interesse. Auch die Partnergemeinden Eschen und Mauren würden von einer – nennen wir sie fiktiven Lösung – direkt und indirekt profitieren. Jedenfalls würde dieser positive Entscheid der Bürgergenossenschaft weitreichende Konsequenzen haben. Und vielleicht dürfen sich der Fussballverband, der USV, weitere Sportvereine und Verbände und vor allem die Jugend freuen.