Ali und die liechtensteinische Asylpolitik

Die provisori­schen Container wurden hinter dem Aufnahmezentrum auf­ge­stellt. (Foto: Benvenuti)

Das waren noch Zeiten! Ich meine jenes Jahr, als die Regierung Frick beschloss, 300 bosnische Flüchtlinge vom Erstaufnahmezentrum in Salzburg zu übernehmen und ihnen in Liechtenstein Schutz und Betreuung angedeihen zu lassen. Zusammen mit den hier niedergelassenen Bosniern, ihren eilig hergeholten Familienangehörigen, sowie Angehörigen anderer Ethnien, waren es einige Hundert Menschen, die in Liechtenstein nicht nur den Jugoslawienkrieg schadlos überlebten, sondern hier wohnen und arbeiten konnten, bis in ihrer angestammten Heimat die Aussicht auf eine weitere Existenz zurückgekehrt war. Jetzt sind es immerhin 23 Flüchtlinge vor dem Syrienkrieg, die man beabsichtigt, bei uns aufzunehmen.

Dr. Marcus Büchel, langjähriger Leiter des Amts für Soziale Dienste
Dr. Marcus Büchel, langjähriger Leiter des Amts für Soziale Dienste

Bei uns gilt als oberste politische Maxime, dass das Bleiben der Flüchtlinge im Land zu verhindern ist. Organisatorisch kommt diese Zielsetzung darin zum Ausdruck, dass nicht etwa eine soziale Stelle, sondern die die Asylverfahren durchführende Behörde, das Ausländer- und Passamt, mit der Organisation und Oberaufsicht über die Betreuung beauftragt wurde: Eine unauflösbare Interessenskollision.

Der Indikator für unsere Flüchtlingspolitik ist für mich Ali, abgesehen vom erfundenen Namen, ein wirklicher Mensch und ein realer Fall. Dieser Mann suchte vor 20 Jahren in Liechtenstein um Asyl an. Er lebt seither mit erheblichen Einschränkungen hier – er darf das Land nicht verlassen, keine Arbeit aufnehmen, keine eigene Wohnung beziehen, in Summe kein normales Leben führen – und hat bis heute keine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Unzählige Male von Ausschaffung bedroht, ist die geballte Macht des Staatsapparates nach wie vor damit befasst, juristische Wege zu finden, diesen Menschen los zu werden.

Unser Asylsystem wird offenbar von der Vorstellung geleitet, Kriegshandlungen seien gewöhnlich von kurzer Dauer. Das ist Wunschdenken. Die Realität sieht anders aus, und in der Regel wird man sich auf vornhinein unprognostizierbar lange Aufenthaltszeiten einstellen müssen. Somit wird man den Menschen, die hierzulande Schutz und Hilfe suchen, nicht gerecht damit, sie bloss unterzubringen und zu versorgen; vielmehr wird Integration unverzichtbares Leitprinzip einer humanen Flüchtlingspolitik sein.

In unserem Lande ist die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung gross. Solange es aber politischer Wille ist, Integration grundsätzlich auszuschliessen, damit sich die Menschen hier nicht etablieren können (Zehn Jahre nach Inkrafttreten des ersten Flüchtlingsgesetzes war lediglich zwei Fällen der Status als anerkannter Flüchtling zuerkannt worden), haben Asylsuchende in der Schweiz, in Österreich, sowie in den anderen europäische Staaten langfristig die besseren Zukunftschancen als bei uns. Ali hatte das Pech, nach Liechtenstein geraten zu sein.

Dr. Marcus Büchel, langjähriger Leiter des Amts für Soziale Dienste